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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis
Autoren: Jostein Gaarder
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einer neuen Runde. Danach müssen bis zum nächsten Mal wieder zweiundfünfzig Jahre vergehen. Der Knabe aus dem Land im Norden ist dann ein erwachsener Mann geworden. Aber vorher kommt er nach Dorf. Und dann ist es gut, daß er auf der Reise eine kleine Lupe bekommen hat. Schlaue Lupe, sagt der Joker. Aus dem besten Karoglas gemacht, sagt er. Denn man kann allerlei in die Tasche stecken, wenn ein altes Goldfischglas zerbricht. Der Joker ist tüchtig. Aber diesem Buben hier wird die allerwichtigste Aufgabe zuteil.«
    Ich begriff nicht, was der kleine Zwerg damit meinte, doch jetzt trat er dicht an mich heran und flüsterte: »Man muß unbedingt ein kleines Buch über Frodes Patiencekarten schreiben. Dann muß man das Buch in ein Rosinenbrötchen einbacken, denn Goldfisch verrät nicht Inselgeheimnis, wohl aber Brötchen. Das sagt der Joker. Schlußaus.«
    »Aber ... die Geschichte von Frodes Patiencekarten läßt sich doch wohl kaum in einem Brötchen unterbringen«, wandte ich ein.
    Er lachte ein herzliches Lachen.
    »Kommt drauf an, wie groß das Brötchen ist, mein Junge. Oder wie klein das Buch.«
    »Die Geschichte der magischen Insel... und alles andere... ist so lang, daß es ein großes Buch werden muß«, widersprach ich. »Und dann brauchen wir auch ein riesiges Brötchen!«
    Er sah mich mit hinterhältigem Blick an.
    »Man soll sich nie so sicher sein, sagt der Joker. Häßliche Unsitte, wiederholt er. Das Brötchen braucht nicht groß zu sein, wenn alle Buchstaben im Buch winzig klein sind.«
    »Ich glaube nicht, daß ein Mensch so kleine Buchstaben schreiben kann«, beharrte ich. »Und wenn es doch möglich wäre, dann könnte wohl kaum jemand sie lesen.«
    »Man braucht nur das Buch zu schreiben, sagt der Joker. Man kann auch gleich damit anfangen. Es gelingen einem schon die kleinen Buchstaben, wenn die Zeit gekommen ist. Und wer eine Lupe hat, wird sehen.«
    Ich blickte über das Tal. Auf der anderen Seite lag der gelbe Sonnenteppich jetzt auch über Dorf gebreitet. Dann wollte ich wieder den Joker ansehen, aber er war verschwunden. Ich blickte mich in alle Richtungen um, doch der kleine Narr hatte sich zwischen den Bäumen fortgeschlichen wie ein Reh.
    Ich war müde, als ich wieder zum Haus hinunterging. Einmal hätte ich fast das Gleichgewicht verloren, weil mir ein kräftiger Kirschgeschmack ins Bein schoß, als ich gerade den Fuß auf einen Stein setzen wollte.
    Ich dachte an meine Freunde unten im Dorf. Wenn die wüßten! dachte ich. Bald würden sie wieder im »Schönen Waldemar« sitzen. Sie mußten über irgend etwas reden, und was lag da näher, als sich über den alten Bäcker das Maul zu zerreißen, der allein, weit weg von allen anderen, in seinem einsamen Häuschen lebte? Sie fanden ihn ein bißchen seltsam und erklärten ihn sicherheitshalber für verrückt. Aber das größte Rätsel – davon waren sie selber ein Teil. Dieses größte Rätsel lag offen zutage, doch das sahen sie nicht. Vielleicht stimmte es, daß Albert ein großes Geheimnis hütete, aber das allergrößte Geheimnis war die Welt selber.
    Ich wußte, daß ich nie wieder im »Schönen Waldemar« Wein trinken würde. Und mir war klar, daß eines Tages auch über mich geredet werden würde. In einigen Jahren würde ich der einzige Joker im Dorf sein.
    Als ich endlich ins Bett fiel, schlief ich bis zum späten Nachmittag.

HERZ NEUN
    ... so lange ist die Welt noch nicht reif, von Frodes Patiencekarten und der magischen Insel zu hören...
    Ich spürte schon die letzten Seiten des Brötchenbuches an meinem rechten Zeigefinger kitzeln und entdeckte, daß sie in normal großer Schrift geschrieben waren. Ich konnte die Lupe auf den Nachttisch legen und wie in einem normalen Buch weiterlesen.
     
    Die Zeit rückt näher, da Du nach Dorf kommen und das Geheimnis von Frodes Patiencekarten und der magischen Insel hüten wirst, mein Sohn. Ich habe alles aufgeschrieben, woran ich mich noch aus Alberts Bericht erinnere. Nur zwei Monate nach dieser Nacht starb der alte Bäcker, und ich wurde zum nächsten Bäcker von Dorf. Ich habe alles aufgeschrieben, und ich beschloß, es auf norwegisch zu tun, damit Du es verstehen kannst. Und damit die Dörfler es, wenn sie es einmal fänden, nicht lesen könnten. Danach habe ich diese Sprache so gut wie vergessen.
    Ich dachte immer, ich dürfte keinen Kontakt zu Euch in Norwegen suchen. Ich wußte nicht, wie Line es aufnehmen würde, und ich wagte nicht, gegen die alte Prophezeiung zu verstoßen.
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