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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis
Autoren: Jostein Gaarder
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sicher? Das Jokerspiel hatte nicht wortwörtlich gesagt, daß die Geschorene meine Großmutter oder der Bäcker in Dorf mein Großvater war. Andererseits konnte es in Norwegen nicht allzu viele »Deutschendirnen« namens Line geben.
    Die reine und volle Wahrheit war jedenfalls noch nicht ans Licht gekommen. Es gab Sätze im Jokerspiel, an die der Bäcker-Hans sich nie mehr erinnern konnte, und also hatte er sie auch nicht an Albert oder irgendwen sonst weitergegeben. Ob diese Sätze wohl je wiedergefunden werden könnten, so daß die ganze Patience mit allen zweiundfünfzig Sätzen vollständig wäre? Die magische Insel hatte keine Spuren hinterlassen, als sie im Meer versunken war. Und der Bäcker-Hans war tot, also konnten wir von ihm nichts mehr erfahren. Es war auch unmöglich, Frodes Patiencekarten noch einmal Leben einzuhauchen, um zu sehen, ob vielleicht die Zwerge noch wußten, was sie damals vor hundertfünfzig Jahren gesagt hatten. – Es gab nur noch eine Möglichkeit: Wenn der Joker noch auf der Welt war, dann war es auch möglich, daß er sich noch an das Jokerspiel erinnerte.
    Ich wußte, ich mußte die Erwachsenen dazu bringen, daß wir auf der Heimfahrt noch einmal einen Abstecher nach Dorf machten. Es war ein Umweg, und Vaters Urlaub ging zu Ende. Und zu allem Überfluß mußte ich es schaffen, ohne daß ich ihnen das Brötchenbuch zeigte.
    Ich stellte mir vor, wie ich in die kleine Bäckerei hineinspazierte und zu dem alten Bäcker sagte: »Hier bin ich wieder. Ich bin zurück aus dem Land im Süden. Und ich habe meinen Vater mitgebracht, deinen Sohn.«
    Erst einmal aber machte ich Großvater zum großen Frühstücksthema. Nur mit der dramatischen Aufdeckung der Wahrheit wollte ich bis zum Ende der Mahlzeit warten. Mir war klar, daß es um meine Glaubwürdigkeit nicht allzugut stand, nachdem ich doch schon allerlei über das Brötchenbuch hatte durchsickern lassen. Sie sollten wenigstens in Ruhe frühstücken dürfen.
    Als Mama sich die zweite Tasse Kaffee holte, blickte ich Vater tief in die Augen und sagte mit ziemlichem Nachdruck: »Gut, daß wir Mama in Athen gefunden haben. Aber es fehlt noch eine Karte, damit die ganze Patience aufgehen kann. Und die habe ich jetzt gefunden.«
    Vater warf einen besorgten Blick hinter Mama her. Dann sah er mich an und fragte: »Und was soll das sein, Hans-Thomas? Kannst du mir das verraten?«
    »Erinnerst du dich an den Bäcker, der mir eine Flasche Limonade und vier Brötchen geschenkt hat, als du im ›Schönen Waldemar‹ gesessen und dich zusammen mit den Dörflingen mit Alpenbranntwein zugeschüttet hast?«
    Er nickte kurz.
    »Dieser Bäcker ist dein Vater.«
    »Unsinn!«
    Er schnaubte wie ein mißhandeltes Pferd, aber ich wußte, daß er jetzt nicht so einfach abwinken konnte.
    »Wir brauchen das nicht hier und jetzt zu diskutieren«, sagte ich. »Aber ich kann dir sagen, ich bin hundertprozentig sicher.«
    Mama setzte sich wieder zu uns und ließ einen Seufzer hören, als ihr klar wurde, wovon wir sprachen. Aber Vater kannte mich. Er wußte, daß er das, was ich gesagt hatte, nicht einfach ignorieren konnte. Er mußte der Sache wenigstens ein Stück weit nachgehen. Er wußte, daß auch ich ein Joker war, der bisweilen die richtigen Eingebungen hatte.
    »Und wieso hältst du ihn für meinen Vater?« fragte er.
    Ich konnte ihm nicht verraten, daß es schwarz auf weiß in dem Brötchenbuch stand. Deshalb zählte ich auf, was mir schon beim Lesen aufgefallen war: »Erstens hieß er auch Ludwig.«
    »Das ist weder in der Schweiz noch in Deutschland ein seltener Name«, sagte Vater.
    »Schon möglich, aber er hat mir auch erzählt, daß er während des Krieges in Grimstad war.«
    »Wirklich?«
    »Nicht richtig auf norwegisch. Aber als ich erzählte, daß ich aus Arendal komme, sagte er, daß auch er in der ›grimmen Stadt‹ gewesen sei. Ich glaube, daß er damit Grimstad gemeint hat.«
    Vater schüttelte den Kopf.
    »Grimme Stadt? Das bedeutet doch die schreckliche Stadt oder so ähnlich. Damit kann er genausogut Arendal gemeint haben... In Südnorwegen waren damals viele deutsche Soldaten, Hans-Thomas.«
    »Sicher«, sagte ich. »Aber nur einer ist mein Großvater. Nämlich der Bäcker in Dorf. So was sieht man.«
    Am Ende rief Vater bei Großmutter an. Ich weiß nicht, ob er es nur wegen meines Geredes tat oder ob ihm plötzlich eingefallen war, daß er ihr auch erzählen mußte, daß wir Mama in Athen gefunden hatten. Als Großmutter sich nicht meldete,
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