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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis
Autoren: Jostein Gaarder
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Anhaltspunkt waren die wenigen Worte über den Soldaten aus dem Land im Norden. Aber auch die konnte Albert erfunden haben. Blieb die geschorene Frau, von der er beim besten Willen nichts wissen konnte. Oder hatte ich vielleicht im Schlaf gesprochen? Es wäre kein Wunder gewesen, wenn in meinen Träumen eine geschorene Frau vorgekommen wäre – schließlich hatte ich wirklich Angst um Line. Und sicher hatte ich auch ein bißchen Angst gehabt, sie könnte schwanger geworden sein. Und so – so hatte Albert dies und das, was ich im Schlaf von mir gegeben hatte, in seine Geschichte einbacken können. Er hatte die Frage nach der geschorenen Frau sehr schnell gestellt...
    Sicher war ich mir nur, daß Albert mich nicht die ganze Nacht hindurch bewußt zum Narren gehalten hatte: Er hatte selber jedes Wort seiner Erzählung geglaubt – aber genau das konnte seine Krankheit sein. Vielleicht hatten sie im Dorf recht, und Albert war ein kranker Mensch, der in jeder Hinsicht in seiner eigenen Welt lebte.
    Seit meiner Ankunft in Dorf hatte er mich »mein Sohn« genannt; vielleicht war das eine Art Kern in seiner ganzen phantastischen Erzählung: Albert wünschte sich einen Sohn, einen jungen Mann, der seine Arbeit unten im Dorf übernahm. Deshalb hatte er – ohne sich dessen selber bewußt zu sein – diese ganze krause Geschichte ersonnen. Man hatte schon von solchen Fällen gehört, von Kranken, die auf bestimmten begrenzten Gebieten wahre Genies sein konnten. War Alberts Gebiet vielleicht phantastische Erzählungen?
    Ich ging immer noch im Zimmer hin und her. Die Sonne kroch noch immer auf die Berghänge.
    »Du bist so unruhig, mein Sohn«, sagte der Alte.
    Ich setzte mich wieder neben ihn, und mir fiel ein, wie diese Nacht begonnen hatte: Ich hatte im »Schönen Waldemar« gesessen, und Fritz André hatte wieder von Alberts vielen Goldfischen angefangen. Ich selber hatte nur einen einzigen Goldfisch gesehen – und war nicht weiter überrascht, daß der einsame alte Bäcker einen Goldfisch besaß. Später am Abend, als ich nach Hause kam, hörte ich Albert auf dem Dachboden. Und als ich ihm sagte, daß ich ihn gehört hätte – da setzten wir uns, und er erzählte, und ich hörte zu...
    »Die vielen Goldfische«, sagte ich jetzt. »Du hast von den vielen Goldfischen erzählt, die der Bäcker-Hans von der seltsamen Insel mitgebracht hat. Sind sie immer noch hier in Dorf? Oder hast du nur den einen?«
    Albert blickte vom Kamin auf und sah mir tief in die Augen.
    »Du hast so wenig Vertrauen, mein Junge.«
    Genau das sagte er. Und ein Schatten huschte dabei über sein Gesicht. Aber ich war ungeduldig und antwortete ihm heftiger, als ich es wollte, vielleicht, weil ich an Line dachte.
    »Antworte!« sagte ich. »Was ist aus den Goldfischen geworden?«
    »Komm mit«, sagte er.
    Er stand auf und ging in sein Schlafzimmer. Ich folgte ihm und sah, wie er eine an der Decke befestigte Leiter auseinanderklappte – so, wie es angeblich der Bäcker-Hans getan hatte, als Albert noch ein Junge gewesen war.
    »Wir gehen auf den Dachboden, Ludwig«, flüsterte er.
    Er ging vor, und ich folgte ihm. Ich weiß noch, daß ich dachte, wenn er Frode und die seltsame Insel erfunden hat, ist er wirklich krank. Doch dann schaute ich durch die Bodenluke und wußte, Alberts Geschichte war so wahr wie die Sonne und der Mond. Denn oben auf dem Dachboden standen nicht nur unzählige Goldfischgläser, und in jedem schwamm ein Goldfisch in allen Farben des Regenbogens. Es wimmelte dort oben auch von den wunderlichsten Dingen. Ich erkannte die Buddhafiguren, die sechsbeinige Glasmillucke, Schwerter und Degen und noch vieles mehr, was in Alberts Kindheit unten im Wohnzimmer gestanden hatte.
    »Das ist ... das ist ... ganz phantastisch«, stotterte ich, als ich die ersten Schritte auf dem Dachboden machte, und ich meinte beileibe nicht nur die Goldfische: Ich hatte nicht den kleinsten Zweifel mehr, daß die Geschichte von der magischen Insel stimmte.
    Blaues Morgenlicht strömte durch die kleine Dachluke, denn auf dieser Seite des Tales hatten wir erst gegen Mittag Sonne. Dazu aber erglänzte der Dachboden in einem Licht, das von der Dachluke nicht kommen konnte.
    »Da!« flüsterte Albert und zeigte auf eine Ecke unter dem Giebel.
    Dort stand nur eine alte Flasche, doch von ihr kam alles Licht, das sich glitzernd über die Goldfischgläser und die anderen Gegenstände auf dem Fußoden und auf den Bänken und in den Schränken ergoß.
    »Das ist die
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