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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
Autoren: Roman Ehrlich
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erzählte und ihn fragte, könnte es nicht sein, dass wieder irgendwo in einem fernen Erdteil eine solche Explosion stattgefunden hat und wir jetzt wieder ahnungslos umhergehen in der Kälte, zuckte er nur mit den Schultern, wollte davon gar nichts wissen. Es kam mir sogar so vor, als würde er richtig wütend, je länger ich versuchte, den Ursachen auf den Grund zu kommen.

Auf der Karte, die ich mir im Verkaufsraum der Tankstelle nochmals genau anschaute und in kleinen Teilabschnitten mit meinem Gedächtnis abzufotografieren versuchte, zog sich die Autobahn gerade hoch in den Norden, teilte sich in einen nach Westen abgehenden Zweig und einen kleineren, der bis kurz vor die Küste führte, dort zu einer Landstraße wurde und sich schließlich auffächerte in Richtung der vielen kleinen Dörfer und Ortschaften am Meer.
    Im Selbstbedienungsrestaurant hatte ich meinen Rucksack wieder mit Essen aufgefüllt. Ein paar Äpfel und Bananen und in Frischhaltefolie eingewickelte Käsebrötchen. Auch die Thermoskanne war wieder voll, und den Brotlaib hatte ich gegen ein Gefühl der Sättigung ankämpfend noch im Hotelzimmer aufgegessen, in der Hoffnung, dass ich dann erst spät am Tag wieder Hunger bekommen würde. Der Schnee war ohne Pause auf die Landschaft gefallen, die Lastwagen standen entweder eingeschneit auf dem Parkplatz oder waren gerade losgefahren und hatten nur ein dunkles Rechteck zurückgelassen. Ansonsten waren alle Spuren von gestern längst verschwunden.
    Das Land ging schnell wieder über in die bekannte Form. Links von mir die Autobahn, rechts Felder, Forste, Landstraßen, Drainagegräben, verschneite Jauchegruben und in einiger Entfernung ein Großmastbetrieb, in dem es ganz still zu sein schien. Einmal durchquerte ich einen Gewerbepark, der zwischen die Autobahn und eine Reihe größerer Ortschaften gebaut war. Ein großes, fensterloses Möbelhaus mit einem riesigen Parkplatz davor, über den zwei Menschen einen mit eingeschweißten Schrankwandteilen überladenen Einkaufswagen wacklig herumsteuerten, auf dem Weg zu einem ganz unsinnig weit vom Ausgang entfernt geparkten Fahrzeug, ein Autohaus und eine Einkaufspassage, an deren gläserne Fassade die Leuchtreklamen der ansässigen Franchisebetriebe montiert waren. Zwischen den Parkplatzflächen, die sauber voneinander abgetrennt waren durch Reihen kleiner Nadelbäumchen, befand sich auf Höhe des Einkaufszentrums eine Bushaltestelle mit einem Wartehäuschen, in dem ein dicker Mann ohne Jacke oder Mantel stand und eine Zigarette rauchte.
    Als ich mich noch mal umschaute, sah ich, wie die beiden Personen auf dem Nachbarparkplatz große Probleme hatten, ihre gekauften Möbelteile in das kleine Auto zu laden, mit dem sie gekommen waren. Die eine fasste sich zum Nachdenken an den Kopf, während die andere große Gesten machte, die aber nicht vorwurfsvoll, sondern eher wie Vorschläge aussahen.
    Danach sah ich niemanden mehr. Das Gehen an der Autobahn wurde häufig durch Zäune, Wassergräben und Fischteiche erschwert, weshalb ich mich immer weiter von ihr entfernte und wieder in den Feldern lief. Ich durchquerte einen Windpark, in dem alle Räder still standen, obwohl ein strenger Luftzug über die Landschaft ging.
    Oft hatte ich das Gefühl, dass es gerade wieder angefangen hatte zu schneien, war mir dann aber nie sicher, ob es davor überhaupt einmal aufgehört hatte oder ob ich einfach nur unaufmerksam gewesen war, weil ich über irgendetwas nachgedacht hatte. Diese Frage verscheuchte dann aber meistens auch den Gedanken, den ich vielleicht gerade hatte, und so konnte ich nicht mal mehr mit Sicherheit sagen, ob ich tatsächlich über etwas nachgedacht hatte, oder wo ich gewesen war in meinem Kopf.
    Wenn ich einen Verschlag, einen Unterstand oder eine Scheune vorfand, versuchte ich zu schlafen, ich kauerte mich in eine Ecke und trieb dann für eine Weile auf einer seichten, vom Zittern meiner Glieder durchsetzten Bewusstlosigkeit dahin, für ein paar Stunden manchmal, bis ich wieder weiterging, durch die Dunkelheit der Nacht oder die trübe Ödnis des Tages. Manchmal mogelten sich im halbwachen Zustand beim Gehen Trugbilder in die Landschaft, ich sah dann Rauchsäulen aufsteigen aus dem Wald oder eine über die Schneedecke eilende Person, die plötzlich stehen blieb, wie ertappt, und zu einem Verkehrsschild wurde. In der Nacht war unter den Schemen der Wälder und Siedlungen in einiger Entfernung oft ein Kriechen, die metallenen Arme der hohen
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