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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
Autoren: Roman Ehrlich
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einiger Müll herumlag. Leer getrunkene Bierdosen vor allem, Wurstverpackungen, ein zerknüllter Sack Hundetrockenfutter. Ich fand zwischen diesen Dingen keinen Platz, an dem ich mich hätte ausruhen können oder vielleicht sogar etwas schlafen, und lief also weiter über das Feld und durch einen Fichtenforst, dessen Boden trocken und weich war unter meinen Schuhen und übersät mit braunen Nadeln. Zwischen den letzten Stämmen in diesem Forst blieb ich eine Weile stehen und aß einen Apfel. Man überblickte von hier aus eine Art Talsenke, eine weite Ebene, an deren Ende die Bundesstraße einen Hügel hinaufführte. Kurz vor der Hügelkuppe, für eine ganze Weile noch unlesbar weit entfernt, überspannte ein großes Fernverkehrsschild die Fahrbahn, von dem ich hoffte, die Angabe der verbleibenden Kilometer zur Autobahn sei dort aufgeschrieben.
    Der Wind blies weiterhin stark über die vor mir liegende Landschaft. Am Himmel hatte sich nichts getan, und nur an dem warmen, klopfenden Gefühl in meinem Rücken, meinen Knien und Füßen konnte ich spüren, dass ich sehr lange schon gelaufen sein musste. Immer wieder versuchte ich mich aufzurichten, aus der eingesackten Haltung, in die ich aber sofort wieder zurückfiel, sobald ich an etwas anderes dachte. Ich redete mir laufend ein, dass dieses Aufrichten ein Trotz gegen die Kälte war und dass es mich so trotzend dann weniger fror. Auf den Feldern vor mir trieb der Wind Schneeverwehungen vor sich her, sie schlängelten sich über den gleichfarbigen Untergrund, waren richtig nur dann zu sehen, wenn sie die Fahrbahn der Bundesstraße erreichten, und trugen sonst zu einer ständigen Unruhe in den Feldern und Flächen bei, zu einer Art Seegang vielleicht. Es kam mir vor, als gehe ein großer Umbau vonstatten in den kleinsten Teilen, und als ich selbst in die Ebene hineingewandert war, tief in eines der Felder, glaubte ich meinen eigenen Blick von dort hinten, vom Forst aus, den Apfel essend, im Rücken zu spüren, sah mich vorangehen in eingesackter Haltung, alles unterhalb der Brust immer unschärfer und konturloser werdend, von den weißgrauen Schneewehen erfasst, die Beine schon aufgelöst und übergegangen in die Landschaft.
    Ich war sehr müde geworden, als ich sah, wie die Bundesstraße, deren Verlauf ich bis zum Einbruch der Dunkelheit gefolgt war, in ein kleeblattförmiges Autobahnkreuz mündete. Kleine Seitenarme zweigten ab, die alle Fahrtrichtungen miteinander verbanden. Das System der Auf- und Abfahrten musste mit Vorsicht überquert werden. Die Autos hatten ihre Scheinwerfer den ganzen Tag schon angestellt, orientierten sich aneinander und folgten dem fließenden Verkehr bei schlechter Sicht.
    Aber ich erkannte schon, dass sich auf der anderen Seite der Brücke, die über die Fahrspuren der Autobahn führte, ein Rastplatz befand. Eine große Tankstelle, deren gelbes Licht in der dunkelgrauen Landschaft glomm, ein Selbstbedienungsrestaurant, ein weitläufiger Parkplatz und etwas abseits ein würfelförmiges Hotelgebäude mit sehr kleinen Fenstern und einem schmutzigen Schild auf dem Dach, auf dem ein Bettensymbol abgebildet war und in großen roten Zahlen der Preis für eine Nacht im Einzelzimmer. Von dem heißen Wasser in meiner Thermoskanne hatte ich lange Zeit nur immer einen sehr kleinen Schluck nehmen können, der mir fast den Mund verbrühte, und meine restlichen Äpfel hatte ich alle im Gehen aufgegessen. Ich war sehr matt geworden in der rauen Kälte, dem Klirren der gefrierenden Luft und fühlte mich innerlich ganz vertrocknet. Etwa auf halber Strecke über die Autobahnbrücke blieb ich stehen, weil ich glaubte, ich würde gerne runterschauen auf die dort unten ihren jeweils eigenen Zielen entgegensteuernden Fahrzeuge, aber der Wind fuhr heftig durch die Schneise der Autobahn, und so ungeschützt hielt ich es nur wenige Sekunden aus. Die aufkommende Dunkelheit, die Scheinwerfer und das Spritzwasser der Fahrbahn, gegen das sie alle ihre Scheibenwischer angestellt hatten, machten es auch unmöglich, von der Brücke aus die Menschen hinter den Windschutzscheiben zu erkennen.
    Auf dem Gelände des Rastplatzes kam ich zuerst an den langen Reihen der abgestellten Lastwagen vorbei. In den Führerhäusern waren die Vorhänge zugezogen. Manche hatten noch den Motor laufen, um die Heizung in Betrieb zu halten. Die meisten Fahrer aber, stellte ich mir zumindest vor, lagen in den Kojenbetten hinter den Sitzen, schliefen oder blätterten vielleicht noch in einer
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