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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest
Autoren: Marc-Uwe Kling
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sage ich.
    »Ich fahre eine neue Strategie«, sagt das Känguru. »Entwaffnende Ehrlichkeit.«
    »Ich weiß nicht, ob ich auf Dauer damit umgehen kann«, sage ich.
    »Das weiß ich auch nicht«, sagt das Känguru.
    »Morgenstund hat Jold im Mund. Wer lange schläft, bleibt ooch jesund!«, sagt Herta. »Wa?«
    »Mhm«, sage ich.
    »Es jibt sone und solche, und dann jibt es noch janz andere, aba dit sind die Schlimmsten«, sagt das Känguru.
    »Meine Rede«, sagt Herta.
    Ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.
    »Bist du schon lange hier?«, fragt mich das Känguru.
    »Ich habe, während ich auf dich warten musste, ein Theaterstück geschrieben«, sage ich.
    »Ich würde das Gespräch sehr gerne an dieser Stelle abbrechen«, sagt das Känguru. »Da du es aber sowieso nicht schaffen wirst, deine Idee für dich zu behalten, bin ich bereit, dir im Zuge unserer Freundschaft weiter mein Ohr zu leihen.«
    »Ich kann nicht damit umgehen«, sage ich.
    »Das können die wenigsten.«
    »Außerdem bin ich durchaus fähig, Sachen für mich zu behalten«, sage ich.
    »Na klar«, sagt das Känguru.
    Mein Knie wippt nervös auf und ab. Das Känguru signalisiert Herta mit zwei Fingern, dass es einen Schnaps will.
    »Lieba ’n bisschen mehr, aba dafür wat Jutet«, sagt Herta und schenkt ein, »wa?«
    »Säufste, stirbste. Säufste nich, stirbste ooch«, sagt das Känguru.
    »Also säufste«, sagen sie zusammen.
    »Okay. Ich kann meine Idee nicht für mich behalten«, sage ich. »Pass auf: Es beginnt mit einer kurzen Ouvertüre. Ganz großes Orchester. Das spielt einen Tusch. Maximal zehn Sekunden. Dann öffnet sich der Vorhang. Man sieht einen einzelnen Mann in der Mitte der Bühne. Im Hintergrund steht ein klassischer griechischer Chor – mit Masken und so weiter. Der Mann sagt: ›Also wenn ihr mich fragt …‹, da fällt ihm der Chor ins Wort und ruft: ›Wir fragen dich nicht!‹ Sofort darauf fällt der Vorhang. Schluss. Aus. Applaus. Nach Haus.«
    »Gefällt mir«, sagt das Känguru. »Kurz und knapp, eine treffende Kritik der parlamentarischen sogenannten Demokratie, gleichzeitig ein zynischer Kommentar zur Einsamkeit des Individuums im Chaos der Postmoderne und natürlich eine Absage an das obsolete Konzept des Sechs-Stunden-Theaters.«
    Das Känguru trinkt seinen Schnaps.
    »So oder so ähnlich«, sage ich. »Aber hauptsächlich wäre es einfach witzig. Ich bin mir nur noch nicht sicher, wie groß der Chor sein soll.«
    »Ist das wichtig?«, fragt das Känguru.
    »Na, in einer Tragödie hätte der Chor 12 Sänger und in einer Komödie 24. Und ich weiß einfach nicht, um welches Genre es sich bei meinem Stück handelt.«
    »Nimm doch 18, dann haste ’ne Tragikomödie«, sagt das Känguru.
    »Ich hatte auch die Idee, dass man Warten auf Godot nicht wie sonst immer minimalistisch, sondern als totale Materialschlacht inszenieren müsste«, sage ich. »Am besten in Kooperation mit dem Staatsballett und einem Zirkus. Während Estragon und Wladimir ihre Gespräche führen, tanzen im Hintergrund die Showgirls, ein Elefant macht Kunststücke und ein Clown jongliert mit Tellern. Dazu noch ein Dutzend Leinwände mit Nachrichten, und immer mal wieder läuft ein Typ durchs Bühnenbild, über dem ein großer, rot blinkender Pfeil mit der Aufschrift ›Godot‹ schwebt.«
    »Dit is nüscht für meine Mutta ihre Tochter«, sagt Herta.
    »Ich wär dann so weit«, sagt das Känguru.
    »Woll’n Se Jott sei Dank schon jehn, oder bleiben Se leida Jottes noch’n bisschen?«, fragt Herta.
    »Wat macht’s?«, fragt das Känguru.
    »Eine Mark und Pfirsich Zent«, sagt Herta.
    »Mein lieber Herr Jesangsverein«, sagt das Känguru.
    »Mit dit Bezahlen vaplempert man dit meiste Jeld«, sagt Herta, »wa?«
    »Mhm«, sage ich.
    »Kannst du heute mal bezahlen?«, fragt mich das Känguru.
    »Keene Haare uff’m Kopp, aba’n Kamm inna Tasche«, sagt Herta, »wa?«
    »Kriechste jleich wat vor’n Bahnhof, dat de Jesichzüje entjleisen«, sagt das Känguru.
    »Noch een Wort, und ick hau dir uff’n Kopp, dette durch de Rippen kiekst wie der Affe durchs Jitter«, ruft Herta.
    Aus irgendeinem Grund muss ich plötzlich an The Secret of Monkey Island denken.
    »Wenn de lang wärst, wie de doof bist, könnste kniend aus der Dachrinne saufen«, erwidert das Känguru.
    »Du denkst dir vielleicht, du bist hart, aba ick bin Herta!«, sagt Herta.
    Das Känguru kichert, stupst mich an und flüstert: »Da! Sie hat es schon wieder gesagt!«
    Ich
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