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Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen
Autoren: Arto Paasilinna
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abgerissen, meh­ rere Birken umgestoßen, daß es Holzsplitter regnete. Vatanen fragte sich, ob der Bär wohl über die Grenze verschwinden würde.
    »Dich rettet nichts mehr, du Biest, versuch gar nicht erst, bei einer Großmacht Schutz zu suchen!«
    Nachts kam ein Wintersturm auf; der Mond war zwi­ schen den Wolken nur mit Mühe zu erkennen. Vatanen mußte die Verfolgung für die Nachtstunden unterbre­ chen. Am Morgen hatte der Wind die Spuren verweht, Vatanen mußte kreuz und quer laufen, ehe er im Schneegestöber frische Spuren fand.
    Der wievielte Tag? Es spielte keine Rolle mehr. Vatanen steckte den zu Tode erschöpften Hasen in
    den Rucksack und machte sich wieder auf den Weg. Der Schnee fiel dichter, es stürmte. Im Gestöber waren die Spuren kaum auszumachen, obwohl sie frisch waren. Vatanen wußte, wenn er jetzt die Spur verlor, war die ganze Jagd vergebens. Sein Bauch brannte wieder, die Mullbinde war nach unten gerutscht, aber er hatte keine Zeit, sie hochzuziehen.
    Vatanen kam an einen Fjäll, dort hätte der Sturm den verschwitzten Mann fast umgeworfen, aber er blieb in der Spur, es ging nicht anders! Ihm wurde schwarz vor Augen. War er schneeblind vom tagelangen Starren auf die Bärenspuren? Anscheinend.
    »Du Satan kommst nicht lebend aus meinen Fängen!« Der Lauf war wie ein Horrorfilm, im Sturm konnte Va­
    tanen kaum ein paar Meter weit sehen. Er folgte den verwischten Spuren wie eine Maschine, die anfängliche Freude am Laufen war längst dahin. Den ganzen Tag tobte der Sturm, Vatanen war nicht mehr sicher, in welche Richtung er sich bewegte. Ab und zu aß er ein Stückchen gefrorenes Fleisch aus Naruska, und um zu trinken, leckte er den Schnee von seinen Schultern. Plötzlich führten die Spuren auf eine freigepflügte Land­ straße. Der Bär war offenbar so erschöpft, daß er auf der Straße weitergelaufen war. Er war über die vereiste Oberfläche geschliddert, Eindrücke der großen Krallen waren im angewehten Schnee zu erkennen. Vatanen schauderte, ihm war kalt im Rücken.
    Er näherte sich einer Kreuzung mit einem Wegweiser. Vorzüglich! Jetzt würde er erfahren, wo er sich befand.
    Vatanen hielt an, stützte sich schwer auf die Skistök­ ke und versuchte, den Wegweiser zu entziffern, verstand aber nichts.
    Er war auf sowjetisches Gebiet gelaufen! Der Wegwei­ ser war russisch beschriftet, in kyrillischen Buchstaben. Vor Überraschung trat dem erschöpften Mann Schweiß auf die Stirn.
    Sollte er umkehren, sich bei den sowjetischen Behör­ den melden?
    »Wenn wir es bis hierher geschafft haben!« Vatanen blieb nicht lange untätig auf der Kreuzung
    stehen. Er machte sich wieder an die Verfolgung der Bärenspur und lief unermüdlich bis zum Abend weiter. Da sah er in der Ferne die Gestalt des gejagten Tiers, aber die Dunkelheit verschluckte den großen Bären. Wieder einmal fällte Vatanen eine Kiefer, entfachte ein Lagerfeuer und übernachtete, zum erstenmal auf sowje­ tischem Gebiet. Vor ihm lagen die endlosen Ödwälder von Archangelsk, dort würde er die harte Probe zu be­ stehen haben.
    An den Folgetagen klarte das Wetter einigermaßen auf. Vatanen verfolgte den Bären wie ein wildgewordener Stier, mehrere große Landstraßen überquerte er, der Bär preschte in Richtung Osten voran, seine Kräfte schienen ihn nicht zu verlassen. Von Süden kommend, flog eine Überschallmaschine in Richtung Murmansk, Vatanen hielt inne, um sie zu betrachten. Die schnelle Maschine mit den blinkenden Flügeln beeindruckte den erschöpf­ ten Skifahrer tief. Was hatte der Mensch doch für unter­ schiedliche Fortbewegungsmittel!
    Der Bär mied die Dörfer und bahnte sich seinen Weg durch die Einöde. Vatanen traf keinen einzigen Men­ schen, nur hin und wieder sah er Spuren von Motor­ schlitten. War es möglich, daß die Grenzverletzung nicht
    bemerkt worden war? Vielleicht. Im Sturm hatte Vata­ nen ja selbst die Grenzlinie nicht gesehen. Das Gerede vom Eisernen Vorhang hatte sich als unwahr erwiesen, nicht einmal Stacheldraht war an Vatanens Skiern hängengeblieben.
    Der Proviant war seit zwei Tagen aufgebraucht, aber die Jagd ging weiter. Vatanen erreichte ein kleines Dorf, der Bär hatte die Nacht in einem verfallenen Steinhaus verbracht. Eine alte Salzsiederei, vermutete Vatanen. Sie waren also ans Meer gekommen, an das Weiße Meer.
    Und dann hatte Vatanen die Eisenbahnstrecke nach Murmansk vor sich. Er überquerte viele Schienen, dabei klapperten die Skier im Frost. Vatanen stellte fest,
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