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Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen
Autoren: Arto Paasilinna
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er ein Stra­ ßenschild umgerissen und es verbogen hatte wie eine Weidenrute. Das war gleichsam eine Botschaft für Vata­ nen: »Noch habe ich Kraft! Komm nicht näher, Mensch!«
    Doch Vatanen blieb ihm auf den Fersen. Am Nachmittag taute die Sonne den Schnee auf, so
    daß er an den Skiern klebte und Vatanen nur mühsam vorwärts kam. Die Jagd schien aussichtslos, obgleich die Spuren im Schnee frisch waren. Vatanen mußte Pause machen, die Skier waren zu schwer vom pappen­ den Schnee. Erst abends wurde der Schnee fester. Va­ tanen lief ein paar Stunden, doch dann wurde es so dunkel, daß er nichts sehen konnte, und der Mond ging nicht auf. Vatanen war gezwungen, die Nacht am Lager­ feuer zu verbringen. Er schätzte, daß er sich mittlerweile auf dem Gebiet der Gemeinde Salla befand. Der Hase war zu Tode erschöpft, klagte aber nicht, das tat er nie. Vatanen fällte ihm eine junge Espe und säbelte mit der Axt die Rinde ab. Der Hase fraß, streckte die Läufe aus, fiel in den Lichtkreis des Feuers und schlief ein. Nie zuvor hatte das Tier so müde gewirkt.
    »Dieses Tempo muß selbst für den Bären furchtbar sein.«
    Sowie es hell genug war, um die Spuren zu erkennen, setzte Vatanen die Verfolgung fort. Der Rucksack war leicht, die Vorräte aufgebraucht. Und es war Eile gebo­ ten. Der Bär mußte diesseits der Grenze zur Sowjetuni­ on getötet werden. Die Strecke führte nördlich des Ten­ niöflußtals weiter bis ins Dorf Naruska, wie Vatanen vermutete. Schon längst hatte er das auf seiner Karte verzeichnete Gebiet verlassen, jetzt mußte er sich die finnische Landkarte ins Gedächtnis rufen.
    Ein eintöniger, furchtbar anstrengender Tag. Abends erreichte er das Gelände südlich des Karhuf­
    jälls. Vatanen bog auf eine Landstraße ab, die in ein Dorf führte. Er war so müde, daß er auf der glatten, freigepflügten Straße stürzte. Schulkinder kamen vorbei, alle grüßten. Vatanen fragte nach einem Laden.
    Doch der Dorfladen war schon seit Urzeiten geschlos­ sen. Ein Verkaufswagen kam zweimal in der Woche. Vatanen schnallte die Skier ab und betrat das Haus neben dem ehemaligen Laden. In der Stube saß der Hausherr beim Essen, seine Frau pellte am Herd heiße Kartoffeln und servierte jede einzeln ihrem Mann.
    Der erschöpfte Fremde wirkte unheimlich und ehrlich zugleich; im Norden werden so jemandem gewisse Rech­ te zuerkannt. Die Einheimischen spüren, daß er sie verdient. Der Hausherr wies auf den Stuhl neben sich und lud Vatanen zum Essen ein.
    Der war so erschöpft, daß der Löffel in seiner Hand im Takt der Herzschläge zitterte. Seine Mütze hatte er vergessen abzunehmen. Das Rentiergulasch war schmackhaft und deftig, Vatanen aß alles auf.
    »Wann kommt der Verkaufswagen?« fragte er. »Erst morgen.«
    »Ich habe es eilig, kann ich vielleicht von euch für ein paar Tage Proviant bekommen?«
    »Woher kommst du?«
    »Aus Sompio, genauer von Läähkimäkuru.« »Bist du hinter einem Vielfraß her?« »So was Ähnliches.«
    Die Kinder kamen aus der Schule und begannen in der Stube zu lärmen. Der Hausherr schickte sie auf den Hof und führte Vatanen in die Schlafkammer. Er schlug die Überdecke vom Doppelbett zurück und sagte Vata­ nen, er könne dort schlafen. In der Stube sagte er zu seiner Frau: »Pack ihm für vier Tage Proviant in den Rucksack, und sag den Kindern, sie sollen leise sein. Ich wecke ihn nachher.«
    Vatanen wachte nach zwei Stunden von selbst auf. Er bemerkte, daß er vollständig bekleidet und mit Schuhen auf dem Laken gelegen hatte. In der Stube streichelten die Kinder den Hasen. Als sie sahen, daß Vatanen auf­ gewacht war, sprachen sie lauter.
    Vatanen legte einen Hunderter auf den Tisch, aber der Hausherr nahm ihn nicht an. Die Männer gingen auf den Hof. Vatanens Glieder waren steif, seine Bauchdek­ ke brannte.
    »Habt ihr vielleicht Borwasser?«
    »Leena, hol mal was von drinnen.« Das Mädchen kam mit einer Flasche zurück.
    Vatanen entblößte seinen Bauch, der Hausherr sah die Bißspuren: »Hat eine verdammt große Schnauze!«
    Er rieb die entzündeten Bißwunden ein, dann wickelte er Vatanen noch mehrere Schichten Mullbinden um den Bauch.
    Vatanen lief auf den Wald zu, um die Bärenspur wie­ deraufzunehmen. Am Waldrand drehte er sich noch einmal um und rief: »Heißt dieses Dorf Kotala oder Naruska?«
    »Naruska.«
    Bald fand Vatanen die Spur, und der Kampf ging wei­ ter. Vatanen sah, daß der Bär müde und wütend war: Er hatte an Bäumen gekratzt und Borke
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