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Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen
Autoren: Arto Paasilinna
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daß die Strecke elektrifiziert war. Dann setzte er die Verfol­ gung fort. In der vergangenen Nacht hatte er sich Speckschwarte in siedendem Wasser gekocht, um etwas zu sich zu nehmen, sonst interessierte ihn nur der Bär und sonst nichts.
    Sie erreichten das Meer. Der Bär rannte über die ge­ frorene Wasserfläche, in der Ferne zog ein schwarzer Eisbrecher seine Bahn, ein paar kleine Handelsschiffe folgten in seiner Fahrrinne.
    Der Bär lief auf die Stadt Kantalahü zu, Vatanen auf Skiern hinterher. Einige Kilometer weiter nördlich quoll Schornsteinrauch in den klaren Frosthimmel.
    Der Bär erreichte die Fahrrinne des Eisbrechers, Va­ tanen glitt hinterher, auf dem leuchtendklaren Eis des Weißen Meeres wurde der letzte Kampf dieser furchtba­ ren Jagd ausgetragen: Der Bär hob sich auf die Hinter­ beine, stieß einen durchdringenden Schrei aus; der strahlendweiße Kranz um seinen Hals leuchtete in der Sonne. Er wandte sich zu Vatanen um, brüllte in wilder Wut. Vatanen nahm die Skier ab, legte sich aufs Eis, taute mit dem Daumen den Reif vom Zielfernrohr ab, entsicherte das Gewehr und schoß dem Bären direkt in die Brust.
    Das große Tier brach auf dem Eis zusammen, eine Kugel hatte genügt. Vatanen kroch zu dem Bären hin, ließ das Blut aus der Gurgel abfließen, das schwarz und geronnen war. Vatanen trank zwei Handvoll davon. Dann setzte er sich auf den gewaltigen Kadaver und zündete sich eine Zigarette an, seine letzte. Er weinte und wußte nicht warum, die Tränen kamen von selbst. Er streichelte das Fell des Bären, streichelte den Hasen, der mit geschlossenen Augen im Rucksack lag.
    Auf dem Eis landeten zwei große Flugzeuge, Soldaten sprangen heraus. Etwa zwanzig Männer liefen auf Vata­ nen zu, einer sagte im karelischen Dialekt: »Na, Towa­ risch, nu haste ihn gekriegt. Im Namen der Roten Armee
    spreche ich dir meine Glückwünsche aus. Und jetzt nehme ich dich noch als Spion fest, aber mußt keine Angst haben, Mann, ist bloß ‘ne Formsache. Hier, nimm ‘nen Schluck.«
    Der eiskalte Wodka trocknete Vatanen die Tränen. Er stellte sich vor, sagte: »Ich bitte um Entschuldigung, daß ich die Grenze überschritten habe, aber anders hätte ich diesen Bären nicht erlegen können.«
    »Vot, ist entschuldigt! Du bist so viel gelaufen! Jetzt steig in die Maschine, die Männer häuten den Bären ab. Nimmst du diesen Hasen mit?«
    Sie bestiegen das Flugzeug, das vom Eis startete und nach ein paar Minuten auf einem Flugplatz auf dem Festland landete.
    »Vot, zuerst in die Sauna und dann schlafen. Morgen zum Verhör.«
    23. KAPITEL
    Im Gouvernement
    Vatanen und der Hase blieben zwei Monate als Gefange­ ne in der Sowjetunion. Während dieser Zeit wurde Vata­ nen viele Male verhört und über Finnland befragt. Es stellte sich heraus, daß die sowjetischen Truppen Vata­ nens Grenzübertritt beobachtet und seinen Weg bis ans Meer Tag für Tag verfolgt hatten.
    Der karelische Rundfunk brachte eine Meldung über Vatanen.
    Die Zeitung »Sowjet-Karelien« interviewte ihn, man fotografierte ihn mit dem Bärenfell um die Schultern und dem Hasen auf dem Arm. Alle Behörden waren zuvorkommend. Vatanen wurde nicht arretiert, sondern konnte sich frei in Petrosawodsk bewegen, mußte ledig­ lich versprechen, nicht über die Grenze nach Finnland zu laufen, ehe sein Fall geklärt sei.
    Ein zweihundert Seiten starkes Verhörprotokoll wurde nach Finnland geschickt, in dem Vatanens Etappen, sowohl dort als auch auf sowjetischem Gebiet, genau nachgezeichnet waren. Die sowjetischen Behörden er­ suchten das finnische Innenministerium zu überprüfen, ob Vatanens Bericht stimmte. Einen Monat später traf die Bestätigung ein. Diesem Schreiben zufolge hatte sich Vatanen in Finnland zahlreicher Verbrechen schuldig gemacht. Er hatte (1) mehrfachen Ehebruch begangen. Er hatte (2) die Behörden irregeführt, indem er (3) und (4) keine An- und Abmeldung des Wohnsitzes vorge-nommen hatte, war also ein Landstreicher. Er hatte (5) mehrere Tage ein Wildtier ohne entsprechende Geneh­ migung mit sich geführt; (6) in Nilsiä heimlich Fisch gestochen und mit einem gewissen Hannikainen zu­ sammen ohne ordnungsgemäßen Angelschein geangelt; (7) während des Waldbrandes gegen das Alkoholgesetz verstoßen, indem er illegal hergestellten Branntwein zu sich nahm; (8) in Tateinheit mit dem Alkoholgenuß, gemeinsam mit einem gewissen Salosensaari, hatte er vierundzwanzig Stunden lang seine Aufgaben bei der Brandbekämpfung vernachlässigt;
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