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Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen
Autoren: Arto Paasilinna
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Einrichtungsgegenstände vertrugen sich nicht miteinander. Die Wohnung war ein Abbild von Vatanens Ehe.
    Irgendwann im Frühjahr war seine Frau schwanger geworden und hatte das Kind schleunigst abgetrieben. Ein Kinderbett hätte die Harmonie der Einrichtung zerstört, sagte sie als Begründung, aber den wahren Grund erfuhr Vatanen erst später: Das Kind war nicht von ihm.
    »Bist du eifersüchtig wegen eines toten Embryos, du Trottel?« fragte sie, als Vatanen die Sache zur Sprache brachte.
    Vatanen setzte den Hasen so dicht an den Bach, daß er trinken konnte. Das kleine Langohr tauchte die Schnauze in das klare Wasser, es hatte für seine Größe einen erstaunlichen Durst. Nachdem es getrunken hatte, begann es energisch Blätter zu fressen. Die Hin­ terpfote tat ihm noch weh.
    Ich müßte wohl nach Helsinki zurück, sagte sich Va­ tanen. Was sie wohl in der Redaktion über sein Ver­ schwinden dachten?
    Eine schöne Arbeit, die er da hatte! Diese Zeitschrift deckte lauter Mißstände auf, schwieg aber wohlweislich über alle Grundfehler der Gesellschaft. Auf der Titelseite Woche für Woche die verwöhnten Gesichter von Stars und Sternchen, Misses, Mannequins, die Babys bekann­ ter Musiker. In jüngeren Jahren war Vatanen als Repor­ ter einer großen Zeitung zufrieden gewesen, besonders dann, wenn er jemanden interviewen konnte, dem Un­ recht widerfahren oder der im besten Falle – vom Staat unterdrückt worden war. Da glaubte er, gute Arbeit zu leisten, weil er wenigstens diesen einen Mißstand an die Öffentlichkeit brachte. Aber jetzt, nach all der Zeit, bildete er sich nicht mehr ein, etwas Sinnvolles zu tun. Er beschränkte sich auf das, was man von ihm verlangte und verzichtete auf kritische Kommentare. Seine Kolle­ gen machten es nicht anders: Sie waren mit ihrer Arbeit unzufriedene und zynische Menschen geworden. Jeder kleine Marketing-Mitarbeiter durfte einem Redakteur sagen, welche Storys der Verleger erwartete, und die wurden dann geschrieben. Die Zeitschrift hatte Erfolg, aber Wissen wurde nicht vermittelt, es wurde verwäs­ sert, verschleiert, in oberflächliche Unterhaltung ver­ wandelt. Schöner Beruf!
    Man zahlte Vatanen zwar ein recht gutes Gehalt, trotzdem war er ständig in Geldnot. Die Miete betrug im Monat fast tausend Mark, Wohnen war teuer in Helsin­ ki. Eine Eigentumswohnung würde er sich niemals leisten können. Er hatte sich ein Boot gekauft, aber auch dafür mußte er noch Raten zahlen. Außer Bootfah­ ren hatte Vatanen so gut wie keine Hobbys. Seine Frau sprach manchmal von Theaterbesuchen, aber er wollte nicht mit ihr ausgehen, allein der Klang ihrer Stimme brachte ihn zur Weißglut.
    Vatanen seufzte.
    Der Sommermorgen wurde immer strahlender, aber Vatanen hatte sich mit seinen Grübeleien alle Freude verdorben. Erst als er den gesättigten Hasen wieder in der Tasche verstaut hatte, verließen ihn die trüben Gedanken. Er ging nun zielstrebig nach Westen, in dieselbe Richtung, die er gestern abend nach Verlassen der Landstraße eingeschlagen hatte. Die Bäume rausch­ ten fröhlich, und Vatanen summte ein Lied. Aus seiner Jackentasche lugten die Hasenohren.
    Nach ein paar Stunden gelangte Vatanen in ein Dorf. Er wanderte die Dorfstraße entlang und fand zu seinem Glück einen Kiosk. Ein junges Mädchen machte sich davor zu schaffen. Sie schien im Begriff, den kleinen Laden zu öffnen.
    Vatanen trat näher, grüßte, setzte sich auf die Veran­ da.
    Das Mädchen klappte die Fensterläden auf, ging in das Häuschen hinein, schob die Glasscheibe zur Seite und sagte: »Der Kiosk ist offen. Was darf’s sein?«
    Vatanen kaufte Zigaretten und eine Flasche Limona­ de.
    Das Mädchen musterte ihn aufmerksam und fragte dann: »Bist du ein Verbrecher?«
    »Nein. Hast du Angst vor mir?«
    »Nee, das nicht. Ich dachte bloß, weil du aus dem Wald kommst.«
    Vatanen holte den Hasen hervor, setzte ihn auf die Bank.
    »He, du hast ja ein Karnickel«, freute sich das Mäd­ chen.
    »Es ist kein Kaninchen, sondern ein Hase. Ich hab ihn gefunden.«
    »Ach, der Arme, sein Bein ist ja verletzt! Ich hol ihm ein paar Mohrrüben.« Das Mädchen verließ den Kiosk, lief in ein nahe gelegenes Haus und kehrte nach kurzer Zeit mit einem Bündel erdiger vorjähriger Mohrrüben zurück. Sie spülte sie mit Limonade ab und hielt sie eifrig dem Hasen hin, aber der fraß nicht. Das Mädchen schien enttäuscht.
    »Die mag er wohl nicht.«
    »Er ist ein bißchen krank. Gibt es hier im Dorf einen
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