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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut
Autoren: Margaret Atwood
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ist
    Sein Werk im Jetzt und Hier.
    Den Bund vernichtet hat der Mensch
    Durch Mord und Lust und Gier.
     
    Wie machen wir nur gut, was ihr
    Beständig müsst verschmerzen?
    Indem wir Freund euch nennen
    Aus der Tiefe unsrer Herzen.
     
    Aus dem
Gesangbuch der Gottesgärtner

 
    3.
Toby. Podocarp-Fest, Jahr Fünfundzwanzig
     
    Der Tag bricht an. Anbruch des Tages. Toby dreht das Wort immer wieder um: Bruch, brechen, gebrochen. Was bricht eigentlich bei Tagesanbruch? Ist es die Nacht? Ist es die Sonne, die vom Horizont entzweigespalten wird wie ein Ei, und dann läuft Licht aus?
    Sie hält sich das Fernglas vor die Augen. Die Bäume wirken unschuldig wie eh und je; trotzdem fühlt sie sich beobachtet – als würde selbst der lebloseste Stein oder Baumstumpf sie wittern und ihr nichts Gutes wollen.
    Das alles sind Auswirkungen der Isolation. Die Vigilien und Einkehrtage der Gärtner haben sie darauf vorbereitet. Das schwebende orange Dreieck, die sprechenden Grillen, die sich emporwindenden Pflanzensäulen, die Augenpaare in den Blättern. Dennoch, wie soll man zwischen Illusion und Wirklichkeit unterscheiden?
    *
    Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel − kleiner, heißer. Toby steigt vom Dach, hüllt sich in ihren rosa Umhang, sprüht sich mit SuperD gegen Insekten ein und rückt ihren breitkrempigen rosa Sonnenhut zurecht. Dann schließt sie die Haustür auf und tritt ins Freie, um die Gartenarbeit zu machen. Hier wurde für das hauseigene Café der Bio-Salat der Damen angebaut − ihre Garnituren, ihre exotischen transgenen Gemüse, ihre Kräutertees. Darüber ist ein Vogelschutznetz gespannt, und ein Maschendrahtzaun hält die grünen Kaninchen, Luchskätzchen und Wakunks fern, die sich hin und wieder aus dem Park hierher verirrten. Vor der Flut waren sie nicht sehr zahlreich, aber es ist erstaunlich, wie schnell sie sich inzwischen vermehren.
    Sie zählt auf diesen Garten: Ihre Vorräte im Lagerraum gehen langsam zur Neige. Sie dachte immer, über die Jahre genug für einen Notfall wie diesen gebunkert zu haben, aber sie hatte sich verschätzt, und die Sojabohnen und Sojadinen werden knapp. Zum Glück gedeiht der Gemüsegarten: Die Lachserbsen sprießen, die Bohnanen stehen in voller Blüte, die Polybeersträucher strotzen vor kleinen braunen Kügelchen in allen möglichen Formen und Größen. Sie pflückt ein paar Spinatblätter, schnippt die irisierenden grünen Käfer weg und zertritt sie. Schuldbewusst drückt sie sie mit dem Daumen in die Erde, spricht die Worte zur Seelenrettung und zur Bitte um Vergebung. Obwohl sie gar nicht beobachtet wird, fällt es ihr schwer, eingefleischte Gewohnheiten wie diese abzulegen.
    Sie siedelt einige Nacktschnecken und Weinbergschnecken um und jätet etwas Unkraut, wobei sie den Portulak stehen lässt: Den kann sie sich später blanchieren. An den zarten Mohrrübenwedeln findet sie zwei leuchtend blaue Kudzu-Mottenraupen. Ursprünglich waren sie als biologische Kontrolle gegen die Kudzu-Pflanze entwickelt worden, aber Gartengemüse schmeckt ihnen offenbar besser. Wie so oft in den Anfangsjahren der Genspleiße hat ihnen ihr Designer aus Jux ein Babygesicht mit großen Augen und glücklichem Lächeln verpasst, wodurch das Töten eine ziemliche Überwindung erfordert. Sie pflückt sie von den Mohrrüben, während unter den niedlichen Masken die Unterkiefer gefräßig weitermahlen, hebt den Rand des Netzes und wirft sie hinaus. Die kommen wieder, so viel ist sicher.
    Auf dem Weg zurück zum Gebäude findet sie am Rand des Pfades den Schwanz eines Hundes − anscheinend von einem Irish Setter −, das lange Fell verfilzt und voller Kletten und Zweige. Wahrscheinlich hat ihn ein Geier hier fallen lassen: Ständig lassen sie irgendetwas fallen. Sie versucht, nicht an das zu denken, was sie in den ersten Wochen nach der Flut fallen ließen. Finger waren das Schlimmste.
    Ihre eigenen Hände werden kräftiger − steif und braun wie Wurzeln. Sie gräbt zu viel in der Erde herum.
     
    4.
Toby. Sankt Bashir Allouse, Jahr Fünfundzwanzig
     
    Sie nimmt ihr Bad immer früh am Morgen, bevor die Sonne zu heiß wird. Sie hat verschiedene Eimer und Schüsseln oben auf dem Dach deponiert, um beim Nachmittagsgewitter das Regenwasser zu sammeln: Das Spa hat zwar seinen eigenen Brunnen, aber das Solarsystem funktioniert nicht mehr, und die Pumpen sind nutzlos. Auch ihre Wäsche wäscht sie auf dem Dach, breitet sie zum Trocknen auf den Bänken aus. Mit dem Grauwasser spült sie ihre Toilette. Sie
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