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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut
Autoren: Margaret Atwood
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Blitzableiter machen wollen.
    Mit dem Gartenschlauch spritzte sie das Blut vom Garagenboden, dann ging sie unter die Dusche. Danach legte sie sich schlafen. In der Dunkelheit lag sie da, wollte weinen, spürte aber nichts als Kälte. Dabei war es gar nicht kalt.
    *
    Das Haus konnte sie nicht verkaufen, ohne zu enthüllen, dass sie, da ihr Vater nicht mehr lebte, die Besitzerin war, und damit hätte sie selbst eine ganze Müllwagenladung über ihrem Kopf ausgeleert. Wo zum Beispiel war die Leiche, und wie war sie dazu geworden? Also stellte sie am Morgen nach einem kärglichen Frühstück das Geschirr in die Spüle und verließ das Haus. Nicht mal einen Koffer nahm sie mit. Was hätte es auch einzupacken gegeben?
    Das CorpSeCorps würde sich höchstwahrscheinlich nicht die Mühe machen, sie aufzuspüren. Eine der konzerneigenen Banken bekäme ohnehin das Haus. Wenn ihr Verschwinden für irgendwen von Interesse war, etwa für ihr College − wo steckte sie, war sie krank, hatte sie einen Unfall gehabt −, würde das CorpSeCorps verbreiten, dass sie zuletzt mit einem Zuhälter gesichtet worden sei, der auf der Suche nach frischen Rekruten die Gegend abfuhr, genau das also, was man von einer jungen Frau wie ihr erwarten würde − einer jungen Frau in einer verzweifelten finanziellen Lage ohne Verwandtschaft, ohne Notgroschen, Treuhänderfonds oder Ausweg.
    Die Leute würden den Kopf schütteln − schade drum, aber was soll’s, wenigstens hatte sie überhaupt etwas zu vermarkten, nämlich ihren jungen Hintern, also würde sie schon nicht verhungern, und niemand brauchte ein schlechtes Gewissen zu haben. War eine Aktion mit Kosten verbunden, setzte das CorpSeCorps auf Gerüchte. Wichtig war, was am Ende dabei rauskam.
    Was ihren Vater betraf, würde jeder davon ausgehen, dass er sich unter falschem Namen in eines der übleren Plebs abgesetzt hatte, um nicht für die Beerdigung ihrer Mutter mit nicht vorhandenem Geld aufkommen zu müssen. So etwas war inzwischen gang und gäbe.
     
    7.
     
    Was folgte, war eine schlimme Zeit für Toby. Obwohl sie die Beweise versteckt und sich selbst hatte verschwinden lassen, bestand dennoch die Möglichkeit, dass das CorpSeCorps hinter ihr her war, um die Schulden ihres Vaters einzufordern. Sie hatte kein Geld, das sich hätte pfänden lassen, aber es kursierten allerlei Geschichten über Schuldnerinnen, die für sexuelle Dienstleistungen weitergereicht wurden. Wenn sie schon ihren Lebensunterhalt in der Horizontalen verdienen musste, wollte sie wenigstens finanziell davon profitieren.
    Sie hatte ihren Ausweis verbrannt und kein Geld, um sich einen neuen zu kaufen − nicht mal einen billigen ohne DNA-Infusion oder Hautumfärbung −, und so konnte sie keinen offiziellen Job antreten; die meisten standen unter Konzernkontrolle. Aber wer tief genug sank − in Gegenden, wo Namen verschwanden und keine Geschichte der Wahrheit entsprach −, wurde vom CorpSeCorps nicht länger behelligt.
    Sie mietete sich ein winziges Zimmer − dafür reichte das Ersparte von ihrem Kellnerjob. Ein eigenes Zimmer, wo ihr bisschen Hab und Gut vor Diebstahl durch irgendeinen dubiosen Zimmergenossen wenigstens halbwegs geschützt war. Es lag im obersten Stock eines feuergefährdeten Ladengebäudes in einem der schlimmsten Plebs − Willow Acres hieß das Viertel, wobei die Ortsansässigen immer nur Sewage Lagoon dazu sagten, weil jede Menge Dreck angeschwemmt wurde. Sie teilte das Bad mit sechs illegalen thailändischen Einwanderern, die sich äußerst ruhig verhielten. Offenbar hatte das CorpSeCorps beschlossen, dass die Abschiebung von Einwanderern zu teuer sei, also wurde auf die Methode eines Farmers zurückgegriffen, der ein krankes Rind in seiner Herde entdeckt: erschießen, vergraben, vergessen.
    Ein Stockwerk tiefer befand sich das Slinks, eine Luxusschneiderei für gefährdete Arten. Um die militanten Tierrechtler zu täuschen, gingen Halloween-Kostüme über den Ladentisch, und in den Hinterzimmern wurden die Häute gegerbt. Die Dämpfe drangen durch die Lüftungsanlage nach oben: Toby versuchte zwar, die Öffnung mit Kissen zu verstopfen, aber ihr winziges Zimmer stank trotzdem nach Chemikalien und ranzigem Fett. Hin und wieder war auch ein Röhren und Blöken zu hören − die Tiere wurden vor Ort getötet, denn die Kunden wollten keine zur Oryx-Antilope frisierte Ziege oder eingefärbten Bären statt Bärenmarder. Die Lizenz zum Protzen sollte wenigstens echt sein.
    Die gehäuteten Kadaver
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