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Das Jagdgewehr

Das Jagdgewehr

Titel: Das Jagdgewehr
Autoren: Yasushi Inoue
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Freund befunden haben mußte, und ich war ihm für seine Liebenswürdigkeit, mein Gedicht, wenn auch wohl erst nach einigem Zögern, abzudrucken, von Herzen dankbar, ja, ich fühlte mich fast ein wenig bedrückt. Ich rechnete damit, daß nun ein oder zwei Mitglieder des Jäger-Clubs empört bei mir protestieren würden, allein, diese Angst war unbegründet, und auch noch viel später kam mir nicht eine einzige solche Reaktion zu Gesicht. Mag es ein Glück oder Unglück sein, ich wurde von den Jägern Japans mit stummer Verachtung bedacht, aber vielleicht komme ich der Wirklichkeit am nächsten, wenn ich annehme, daß auch nicht einer von ihnen mein Gedicht gelesen hat.
    Es waren etwa zwei Monate vergangen, und ich hatte das Ganze schon beinahe vergessen, da brachte mir der Postbote von einem mir völlig unbekannten Manne namens Josuke Misugi einen versiegelten Brief.
    Ein Historiker hat über die in das Steinmonument auf dem Taishan-Berg eingeritzten Schriftzeichen einmal geschrieben, sie sähen wie heller Sonnenschein nach herbstlichen Regenschauern aus. Ich übertreibe vielleicht ein wenig, aber die Schriftzeichen auf dem weißen Umschlag des Briefes von Josuke Misugi machten einen ähnlichen Eindruck auf mich. Wir kennen die wirkliche Schönheit und den Stil jener Schriftzeichen auf dem Taishan-Monument nicht, weil dieser Gedenkstein verfallen und nicht einmal eine Stein-Abreibung erhalten ist. Josuke Misugis riesige Schriftzeichen drohten von dem Umschlag geradezu herabzuspringen. Sie wirkten großzügig, prachtvoll und verrieten erstaunliche Geschicklichkeit, aber ich fühlte, während ich sie betrachtete, aus jedem von ihnen unerwartet eine seltsame Leere dringen, und da fiel mir ein, was jener Historiker über die Steininschrift gesagt hat. Ich hatte das Gefühl, daß Josuke Misugi seinen Pinsel sich mit Tusche hatte vollsaugen und, ihn in der linken Hand haltend, dann schwungvoll über das Papier hat gleiten lassen.
    Aber ich entdeckte in dieser Schrift eine seltsam ausdruckslose Kälte und eine Gleichgültigkeit, die mit der Schlichtheit der Reife nichts gemein hat. Mit anderen Worten, ich spürte deutlich, daß er sich auf seine Geschicklichkeit durchaus nichts einbildete, hier vielmehr eine starke Persönlichkeit modernen Stils zum Ausdruck kam, frei von jener banalen und peinlichen Atmosphäre der Schreibkünstler.
    Der Brief war jedenfalls so prachtvoll hingepinselt, daß der rohe Holzbriefkasten, in den er eingeworfen war, mir höchst unangemessen erschien. Als ich den Umschlag öffnete, fand ich, daß er auf langes chinesisches Papier geschrieben hatte; jede Zeile enthielt nur fünf oder sechs riesige Schriftzeichen, die genauso wie die auf dem Umschlag aussahen.
    »Ich bin ein wenig am Jagen interessiert«, schrieb Misugi. »Und ich bekam neulich ganz zufällig Ihr Gedicht in die Hand. Ich bin kein Mann von erlesenem Geschmack und ich verstehe nichts von Poesie. Verzeihen Sie gütigst, daß mir Ihr Name bis dahin unbekannt gewesen ist. Aber Ihr Gedicht bewegte mich so tief wie kaum irgend etwas je zuvor.«
    So also begann der Brief. Während ich seine Worte überflog, fühlte ich bei dem Gedanken an das schon fast vergessene Gedicht, wie sich mein Herz zusammenkrampfte. Zunächst war ich überzeugt, daß dieser Brief endlich den schon lange fälligen Protest brachte, und zwar nicht von einem gewöhnlichen Jäger. Doch als ich weiterlas, entdeckte ich, daß sich der Inhalt sehr von dem unterschied, was ich erwartet hatte. Misugi schrieb mir von Dingen, die ich mir wahrlich nie hätte träumen lassen. Seine Worte waren dabei sehr höflich und wie seine Schriftzeichen ungemein gewichtig, sie zeugten von bedeutendem Selbstvertrauen und einer tiefen, inneren Ruhe.
    »Was sagen Sie, wenn ich Ihnen jetzt verrate, daß der Mann, über den Sie Ihr Gedicht ›Das Jagdgewehr‹ geschrieben haben, niemand anderer ist als ich? Sie sahen wohl von hinten meine große Gestalt bei dem Dorf am Fuß des Amagi-Berges, als ich in den ersten Novembertagen dort jagen ging. Mein schwarzer und mein weißer Setter, die auf Fasanenjagd besonders abgerichtet sind, und auch die Churchill-Flinte, die mir mein verehrter Lehrer in London geschenkt hat, ja, sogar meine geliebte Pfeife erregten anscheinend Ihre Aufmerksamkeit. Daß ich, ein Mann von vielen, schweren Fehlern, Sie zu einem Gedicht inspiriert habe, das ehrt und verwirrt mich zugleich. Und ich bewunderte zum ersten Mal in meinem Leben die ungewöhnlich tiefe Einsicht
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