Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Insekt

Das Insekt

Titel: Das Insekt
Autoren: Graham Masterton
Vom Netzwerk:
Arbeitskreislauf raus.«
    »Noch lange kein Grund, seinen Frust bei dir abzulassen.«
    »Ich bin schon groß, Ray, ich halte das aus.«
    Ray trat auf sie zu, umarmte sie fest und drückte sein Gesicht an ihre Schulter. Es kam völlig unerwartet für Bonnie.
    »Was?«, fragte sie.
    »Nichts. Ich wünschte mir nur, ihr würdet euch wieder vertragen.«
    Sie begann, ihm über die stacheligen Haare zu streicheln. »Wir vertragen uns bestimmt wieder. Versprochen. Es ist eben alles im Moment nicht einfach. Für niemanden ist es einfach.«
    »Aber ihr streitet euch jeden Tag. Jeden Tag!«
    Mit einem Schnalzen riss Bonnie sich die gelben Gummihandschuhe von den Händen. »Ach, vergiss es einfach. Willst du auch einen Tee?«
    Ray hob den Kopf und sah sie an. »Darf ich dich mal was Persönliches fragen?«
    Lächelnd legte sie ihm beide Hände auf die Schultern. »Ich bin deine Mutter. Du kannst mich alles fragen.«
    »Magst… na ja, liebst du Dad eigentlich noch?«
    Sie sah ihm in die Augen. Er hatte dieselbe Augenfarbe wie sie, dachte Bonnie. Verwaschenes Blau, in einer Familienbibel gepresste, vergessene Kornblumen.
    »Das ist eine wirklich schwierige Frage«, sagte sie. »Und ich kann nur sagen, dass es darauf viele verschiedene Antworten gibt, die nicht einmal ich kenne.«
    »War mir klar, dass du um den heißen Brei rumreden würdest.«
    »Ach ja? Immerhin musstest du ihn nicht essen.«
    Um zwei Uhr vierunddreißig am Morgen platzte er ins Schlafzimmer und stank nach Bier und Zigaretten. Er tigerte von einer Zimmerecke in die andere, während sie so tat, als würde sie schlafen. Sie hörte seine Schuhe auf den Boden fallen, dann verhedderten sich seine Beine wohl in der Hose, denn er fiel mit einem Ächzen der Länge nach neben ihr aufs Bett.
    »Bonnie«, stöhnte er. Sein Mundgeruch war so stark, dass sie sich abwenden musste. »Bonnie, hör mal. Ich liebe dich. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich liebe. Du hast nicht die leiseste Ahnung… ach Scheiße!«, sagte er, weil er die Hosen nicht von den Beinen schütteln konnte.
    »Ja, ich weiß, wir streiten uns ständig – ich weiß das, Süße. Aber das ist nicht immer meine Schuld. Manchmal ist es – ist es auch deine. Du arbeitest den ganzen Tag und die ganze Nacht und du siehst mich überhaupt nicht mehr an, du siehst mich nicht mehr an und sagst: >Das ist mein Mann<. Verstehst du, Süße. Ein Mann braucht dieses Gefühl, dieses… Vertrauen. Und ein Mann braucht Respekt. Und was ist mit mir?
    Ich sag dir, was mit mir ist. Ich verlier meinen Job und werde von irgendeinem Mexikaner ersetzt. Und meine Frau, meine seit über siebzehn Jahren innigst geliebte Frau, meine Süße, meine Prinzessin – sie hat nichts Besseres zu tun, als Salz in meine offenen Wunden zu streuen. Darum geht’s. Sie streut Salz in meine Wunden. Sie schneidet mir die Eier ab und serviert sie zum Abendessen als cojones!«
    Er ballte die Fäuste und schlug auf das Kissen ein. Aus seinem verzerrten Mund flogen Speichelfetzen und Bonnie zog sich die Decke über den Kopf, um ihr Gesicht zu schützen. Angst hatte sie nicht. Sie wollte nur schlafen, und er sollte endlich aufhören zu schreien.
    »Hühnchen mexikanisch, um Gottes willen! Hühnchen mexikanisch. Verdammt, du musst einfach noch ein paarmal in der Wunde bohren, was? Wie es mir dabei geht, ist dir doch… Ich mach doch schon genug durch!«
    Bonnie drehte sich um und umarmte ihn. »Duke, du hast zu viel getrunken. Du solltest jetzt schlafen.«
    »Betrunken, sagst du? Ich bin nicht mal beschwipst. Ich bin… ich bin… verletzt.«
    Bonnie streichelte beruhigend seinen Nacken. »Verletzt«, sagte er ins Kissen, und das Leid in seiner Stimme wuchs noch. »Ich bin verletzt.«
    Selbst im Dunkeln erkannte sie in ihm immer noch den Mann, der er bei ihrem ersten Rendezvous gewesen war. Schmal, fast weiblich, mit Schmalzlocke und dieser unglaublich coolen Art sich zu bewegen und zu sprechen. Damals war er witzig und schlagfertig gewesen, zog immer die Aufmerksamkeit auf sich.
    Er konnte zwanzig Rauchringe hintereinander blasen. Seine Freunde nannten ihn nur den Duke und bei allen Gelegenheiten verbeugten sie sich in spöttischer Unterwürfigkeit. Aber auch der Duke wurde irgendwann älter, beendete die Schule und ging auf Arbeitssuche. Und es kam der Moment, in dem der Duke merkte, dass Rauchringe blasen keine abgeschlossene Berufsausbildung ersetzen konnte. Schließlich verlegte er Kabel in einer Autowerkstatt. Es war der beste Job, den er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher