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Das Insekt

Das Insekt

Titel: Das Insekt
Autoren: Graham Masterton
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machen.«
    »Dein Vater hat dich heute Nacht aber nicht geweckt, oder?«
    »Mich und halb Los Angeles.«
    Er nahm das Brot aus dem Korb, schnitt sich drei Scheiben ab und bestrich sie dick mit Erdnussbutter. Dann schnitt er zwei Bananen klein, verteilte sie auf den Broten, legte die Brote zusammen und hockte sich vor den Fernseher. Jeden Morgen aß er das Gleiche. In irgendeinem Männer-Gesundheitsmagazin hatte er gelesen, dass Erdnussbutter und Bananen den Muskelaufbau förderten.
    Die Küche war hellgelb gestrichen und hatte hellgelbe Vorhänge. In den Sechzigern hätte man Cornflakes-Werbung darin drehen können. Das Medium Sydney Omarr hatte Bonnie einst gesagt, Gelb würde ihr Glück bringen. Er hatte ihr außerdem prophezeit, dass sie in ihrem Leben dem Tod öfter begegnen würde als andere Menschen in dreizehn Leben. Das war vier Jahre bevor sie »Bonnies-Tatort-Reinigung« gründete. Damals hatte sie ihm nicht geglaubt.
    »Dein Vater fängt sich schon wieder«, sagte sie. »Wart’s nur ab.«
    »Klar doch«, sagte Ray, der wie gebannt Tom und Jerry verfolgte.
    »Er ist eigentlich ein guter Kerl. Das Leben ist im Moment nur… so verwirrend für ihn.«
    An die Spüle gelehnt, trank sie ihren koffeinfreien Kaffee. Sie hatte erwartet, dass Ray sich umdrehen und etwas sagen würde, aber das tat er nicht. Also kippte sie den Rest ihres Kaffees weg, spülte den Becher aus, ging zu ihm und gab ihm einen Kuss auf den verstrubbelten Kopf. »Also dann bis um sechs. Ich glaube nicht, dass es später wird. Heute gibt es Koteletts.«
    »Okay, Mom.«
    Für einige Augenblick verharrte Bonnie schweigend. Dann sagte sie: »Ray?«
    Er reagierte nicht. Er wusste, was sie gleich sagen würde, und sie wusste, dass er es wusste.
    Sie sagte es trotzdem. »Ich habe dich sehr lieb, Ray. Es wird alles wieder gut.«
    Die Einfahrt ihres Hauses war gerade breit genug für ihre zwei Autos. Bonnies Dodge-Pick-up und Dukes elfjähriger Buick Electra. Beim Einzug hatte Bonnie noch geglaubt, dieses Haus sei nur eine vorübergehende Lösung für vielleicht zwei oder drei Jahre. Sie dachte, danach würden sie ein größeres Haus mit mehr Grund kaufen, denn sie wünschte sich einen Pool, in dem man nicht nach zwei Zügen mit dem Kopf an den Beton knallte, und sie wollte es nicht in der Küche riechen, wenn die Nachbarn grillten. Vier oder fünf Orangenbäume wollte sie pflanzen. Sie träumte von einem Whirlpool unter freiem Himmel. Vielleicht sogar mit Aussicht.
    Das war inzwischen dreizehn Jahre her. Ray war damals vier gewesen. Längst dachte sie nicht mehr an vier oder fünf Orangenbäume, Whirlpools und schöne Aussichten. Aus dem Küchenfenster hatte sie einen Blick auf einen grau gestrichenen Zaun. Und sie verkaufte immer noch Glamorex-Kosmetika und sie schrubbte immer noch das Blut anderer Leute weg und sie wusste, dass diese Schufterei einen Sinn haben musste. Aber sie wagte es nicht, sich diesen Sinn vorzustellen.
    Sie mochte Barbra Streisand. »Evergreen« war einer ihrer Lieblingssongs, und sie spielte ihn immer und immer wieder. Allerdings nur, wenn Duke nicht zu Hause war.
    Sie nahm Dukes Electra für die Fahrt zum Venice Boulevard. Die Klimaanlage war kaputt, die Sitze mit Klebeband geflickt. Die Bluse klebte ihr am Körper, als sie Venice Boulevard erreichte. Nicht weit entfernt von Glamorex fand sie einen Parkplatz.
    Als sie den Bürgersteig entlanghetzte, kam sie an einem altersgebeugten Mann mit weißer Golfmütze vorbei, der breit grinsend seine dritten Zähne zeigte und bestimmt über fünfundachtzig war. »Hallo auch! Hübsche Titten!«
    Ihr Hirn brauchte einige Augenblicke, um zu verarbeiten, was er gesagt hatte. Dann blieb sie stehen, drehte sich um und rief: »Hey!« Aber der Bürgersteig war verlassen. Hatte sie sich die Begegnung nur eingebildet? Für einen Augenblick stand sie ratlos da, dann ging sie entschlossen weiter und schob sich, bei Glamorex angekommen, durch die Drehtür. Ihre Absätze hallten klackend über den Marmorfußboden in der von der Klimaanlage eisgekühlten Lobby.
    Sie nahm den Fahrstuhl zum vierzehnten Stock. Hier residierte Glamorex of Hollywood Incorporated. Im Empfangsbereich stapelten sich Kartons entlang der Wände bis zu den Fluren. Die Vertriebsleiterin Joyce Bach stand inmitten des Chaos und sah mit ihrer wilden schwarzen Mähne noch verwirrter aus als sonst. Zwischen ihren leuchtend rot geschminkten Lippen (»Scarlet Siesta«) baumelte eine brennende Zigarette. Jedes Mal, wenn sie den Mund
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