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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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dunkle Zonen bringen. Azers Verhalten wies gefährliche Mängel auf. 1986 hatte er am französischen Gymnasium bei einem Streit einen anderen Schüler heftig geschlagen. Die Verletzungen waren schlimm und zeugten nicht von Zorn, sondern von einer erschreckenden Entschlossenheit und Kaltblütigkeit. Kudseyi hatte seinen ganzen Einfluss geltend machen müssen, damit der Gymnasiast nicht verhaftet wurde.
    Zwei Jahre später hatte man Azer an der naturwissenschaftlichen Fakultät dabei überrascht, wie er lebende Mäuse zerstückelte. Auch hatten sich Studentinnen beschwert, dass er ihnen ständig obszöne Dinge nachrief. Und in ihrer Garderobe im Schwimmbad hatten sie in ihrer Unterwäsche ausgeweidete Katzenkadaver gefunden.
    Kudseyi war von den kriminellen Neigungen Azers überrascht und glaubte schon, sie wirksam einsetzen zu können. Ihre wahre Natur aber kannte er nicht, bis ihn ein medizinischer Zufall vollständig ins Bild setzte. Als Student in München war Azer wegen eines Diabetes-Komas eingeliefert worden. Die deutschen Ärzte hatten eine originelle Behandlung vorgeschlagen: Sitzungen in einer Überdruckkammer, um den Sauerstoffanteil des Blutes zu erhöhen.
    Bei einer dieser Sitzungen hatte Azer einen Tiefenrausch erlebt und angefangen, wirres Zeug zu reden. Er hatte geschrien, wie gerne er Frauen töten würde, alle Frauen. Er wollte sie foltern und entstellen, bis sie aussähen wie die antiken Masken, die ihm im Traum erschienen. Als er wieder in seinem Zimmer lag, hatte er trotz aller Beruhigungsmittel weiter deliriert und in die Wand neben seinem Bett Gesichter geritzt. Verstümmelte Gesichtszüge mit abgeschnittener Nase und zerschmetterten Knochen, darum herum hatte er mit Sperma seine eigenen Haare geklebt - tote Ruinen, von den Jahrhunderten angefressen, doch mit noch sehr lebendigem Haar...
    Die deutschen Ärzte hatten die Stiftung in der Türkei, die für die medizinische Behandlung des Studenten aufkam, alarmiert. Kudseyi war höchstpersönlich angereist. Die Psychiater hatten ihm die Situation erklärt und eine sofortige Einweisung in eine Klinik empfohlen. Kudseyi hatte zugestimmt, eine Woche später jedoch schickte er Azer in die Türkei zurück. Er war sicher, er könne den mörderischen Wahn seines Schützlings in den Griff bekommen und sogar Nutzen daraus ziehen. Sema Hunsen wies andere Störungen auf. Sie war eine Einzelgängerin, hatte ihre Geheimnisse, war starrsinnig und ließ sich nicht in die Stiftung integrieren. Mehrere Male war sie aus dem Internat von Galatasaray geflohen. Einmal hatte man sie an der bulgarischen Grenze verhaftet, ein anderes Mal am Ata-türk-Flughafen in Istanbul. Ihre Unabhängigkeit und ihr Freiheitsdrang waren krankhaft, sie war aggressiv und geradezu besessen von Fluchtgedanken. Auch darin hatte Kudseyi einen Trumpf gesehen, und er wollte aus ihr eine Nomadin machen, die immer auf Reisen sein würde. Eine exzellente Schmugglerin.
    Mitte der neunziger Jahre war auch Azer Akarsa, inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein Wolf geworden - mit einem Hang für okkulte Traditionen. Kudseyi hatte ihm über seine Mittelsmänner ein paar Missionen anvertraut, Abschreckungs- oder Begleitschutzaktionen, die er brillant erledigt hatte. Er würde die heilige Linie, die Schwelle zum Mord, ohne irgendwelche Skrupel überschreiten. Akarsa liebte Blut. In Wirklichkeit liebte er es zu sehr.
    Und da war noch ein zweites Problem, denn Akarsa hatte eine eigene politische Gruppierung aus Dissidenten gegründet, die in Gewalttätigkeit und anderen Exzessen weit über die Linie der Partei hinausging. Azer und seine Komplizen verachteten die alten Grauen Wölfe, die sich Ämter gekauft hatten, und noch mehr verachteten sie die nationalistische Mafia vom Typ Kudseyi. Der alte Mann verspürte Bitterkeit; sein Kind war zu einem Monster geworden, das sich immer weniger kontrollieren ließ...
    Um sich zu trösten, wandte er sich Sema Hunsen zu. Eigentlich war zuwenden nicht das passende Wort: Er hatte sie sehr lange nicht gesehen, und seit sie die Universität verlassen hatte, war sie mehr oder weniger verschwunden. Sie hatte Transportmissionen übernommen, da sie sich der Stiftung verpflichtet fühlte, war aber dafür auf radikale Distanz zu ihren Auftraggebern gegangen.
    Kudseyi mochte das nicht. Allerdings waren die Drogen immer ans Ziel gekommen. Wie lange würde sie ihre Aufgaben noch erledigen? Dennoch faszinierte ihn diese geheimnisvolle Person mehr denn je, und so folgte er
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