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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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unter: »Verrückt, ich werde verrückt.«

Kapitel 5
     
    Einmal pro Woche traf sich Laurent mit seinen »Kameraden« zum Abendessen. Die Männer, die sich anlässlich dieses unumstößlichen Rituals versammelten, waren weder Jugendfreunde noch Angehörige einer bestimmten Gruppe. Sie hatten nichts, wofür sie sich gemeinsam begeisterten, sie gehörten schlicht und einfach dem gleichen Berufsstand an. Sie waren Polizisten, hatten sich auf unterschiedlichen Karrierestufen kennen gelernt und waren heute, jeder in seinem Spezialgebiet, auf dem Gipfel der Beförderungspyramide angelangt.
    Wie die anderen Ehefrauen auch war Anna von diesen Treffen ausgeschlossen, und wenn das Abendessen bei ihnen in der Avenue Hoche stattfand, wurde von ihr erwartet, dass sie ins Kino ging. Überraschenderweise hatte Laurent ihr vor kurzem vorgeschlagen, beim nächsten Treffen teilzunehmen. Zuerst hatte sie abgelehnt, vor allem, weil ihr Mann im Ton einer Krankenschwester zu ihr gesagt hatte: »Du wirst sehen, das bringt dich auf andere Gedanken.« Wenig später hatte sie ihre Meinung geändert. Sie war neugierig, die Kollegen von Laurent kennen zu lernen, sich andere hohe Beamte anzusehen. Bislang kannte sie ja nur ein einziges Modell, ihn.
    Sie sollte ihre Entscheidung nicht bereuen, denn ihr waren an diesem Abend harte, faszinierende Männer begegnet, die tabulos und ohne jede Zurückhaltung miteinander sprachen. Als einzige Frau an Bord war sie sich in dieser Runde wie eine Königin vorgekommen, in ihrer Gegenwart übertrafen sich die Polizisten gegenseitig mit Anekdoten, Berichten von Schießereien und Enthüllungsgeschichten.
    Seit jenem ersten Abend hatte Anna an allen folgenden Essen teilgenommen, und nebenbei hatte sie die Macken und Reize, die Fantasien und Hirngespinste dieser Männer gründlich kennen gelernt. Jedes einzelne dieser Abendessen bot ihr ein Panorama der Welt des durchschnittlichen Polizisten, eine Welt in Schwarz-Weiß, ein Universum von Gewalt und Gewissheit tat sich vor ihr auf, faszinierend und eintönig zugleich.
    Es waren, bis auf wenige Ausnahmen, immer dieselben Teilnehmer. Meistens dominierte Alain Lacroux die Unterhaltung, ein groß gewachsener, hagerer, vornübergebeugter Fünfzigjähriger, der das Ende jedes Satzes mit einer Bewegung seiner Gabel oder durch ein Wiegen seines Kopfes betonte, wobei sein südfranzösischer Akzent jede Satzfolge abrunden half. Seine leicht singende Sprache, seine wiegenden Bewegungen, sein Lächeln - wer hätte hinter dieser Ausstrahlungskraft den stellvertretenden Leiter der Pariser Kriminalpolizei vermutet?
    Pierre Caracilli - klein, gedrungen, nüchtern - war das genaue Gegenteil. Ständig schimpfte er über irgendetwas, dabei sprach er ungewöhnlich langsam, und seiner Stimme haftete eine hypnotische Wirkung an. Wie oft hatte diese Stimme misstrauischen Leuten Vertrauen eingeflößt oder hartgesottenen Kriminellen Geständnisse entlockt. Caracilli war Korse, und er besetzte einen wichtigen Posten bei der DST, dem Inlands-Geheimdienst.
    Anders als diese beiden ging Jean-François Gaudemer weder in die Breite noch in die Höhe: Er war wie ein kompakter, geballter, starrköpfiger Felsen. Unter einer hohen und kahlen Stirn saßen lebendige tiefschwarze Augen, in denen sich Gewitter zusammenzuballen schienen. Wenn er sprach, hörte Anna seinen zynischen Reden und Furcht erregenden Geschichten stets sehr aufmerksam zu, denn er flößte seinen Zuhörern neben dem zwiespältigen Gefühl, den Schleier jeder Weltverschwörung lüften zu können, eine tiefe Dankbarkeit ein. Er war der Chef von OCTRIS, jener Institution, die gegen den illegalen Drogenhandel vorging, und galt als der Drogen-Experte Frankreichs.
    Am liebsten jedoch mochte Anna Philippe Charlier, einen Koloss von einem Meter neunzig, dessen teure Anzüge aus den Nähten zu platzen schienen. Seine Kollegen nannten ihn den Grünen Riesen. Er hatte ein Boxergesicht, trug einen Schnurrbart und weißgraue Haare. Er sprach sehr laut, lachte wie ein Verbrennungsmotor und packte seine Gesprächspartner bei den Schultern, um seinen komischen Geschichten Nachdruck zu verleihen.
    Man musste über einen reichlich schmutzigen Wortschatz verfügen, um ihm folgen zu können. Statt einer »Erektion« sprach er vom »Knochen in der Unterhose«, seine gekräuselten Haare nannte er stets seine »Sackbehaarung«, und bevor er von seinen Bangkok-Urlauben zu berichten anhob, stellte er fest: »Seine Frau nach Thailand mitzunehmen ist wie
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