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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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»Ich werde mich einer Therapie aus Gedächtnisübungen und Medikamenten unterziehen müssen, um die Hirnfunktion des geschädigten Abschnitts in einen anderen Bereich meines Gehirns zu verlagern. In einen gesunden Bereich.«
    »Das ist ja toll!«
    Clothilde lächelte voller Begeisterung, als hätte sie erfahren, dass Anna geheilt war; ihr Gesichtsausdruck entsprach nur in den seltensten Fällen der jeweiligen Situation, meist verriet er unverhohlen, wie gleichgültig ihr letztlich die Dinge waren. In Wahrheit hatte Clothilde wenig Sinn für das Unglück anderer, Sorgen, Angst und Unsicherheit glitten an ihr ab wie Öl-tropfen auf einem Wachstuch, doch in diesem Moment schien sie zu merken, dass sie in ein Fettnäpfchen getappt war.
    Die Türglocke kam ihr zu Hilfe.
    »Ich gehe«, sagte sie und wandte sich um. »Mach schon weiter, ich komme gleich wieder.«
    Anna schob ein paar Kartons zur Seite und setzte sich auf einen Hocker. Dann begann sie, Romeos - viereckige Zuckermandelstückchen mit Kaffee - auf einem Tablett hübsch anzuordnen. Der Raum war von einem durchdringenden Schokoladegeruch erfüllt. Am Abend rochen Kleider und selbst Schweiß nach Schokolade, der Speichel war zuckerig, dabei hieß es immer, Bedienstete einer Bar würden vom Einatmen des Alkoholduftes betrunken werden. Ob Schokoladenverkäuferinnen dick wurden, weil sie Tag für Tag mit Süßigkeiten hantierten?
    Anna hatte bislang kein Gramm zugenommen. Sie nahm niemals zu, denn sie achtete streng auf ihre Diät, und obendrein schien die Nahrung ihr zu misstrauen: Kohlehydrate, Fette und andere Nahrungsbestandteile machten einen Bogen um sie...
    Während sie die Schokoladenstücke nebeneinander aufreihte, kamen ihr Ackermanns Worte in den Sinn. Eine Schädigung. Eine Krankheit. Eine Biopsie. Nein, sie würde nie an sich herummetzgern lassen, schon gar nicht von diesem Kerl mit den eiskalten Gesten und dem Insektenblick.
    Außerdem glaubte sie nicht an seine Diagnose. Sie konnte einfach nicht daran glauben, aus dem einfachen Grund, dass sie ihm die ganze Wahrheit verschwiegen hatte.
    Seit Februar waren ihre Anfälle wesentlich häufiger geworden, als sie zugegeben hatte. Sie wurde von Erinnerungslücken überrascht, hier und jetzt und in allen nur denkbaren Alltagssituationen. Beim Abendessen mit Freunden, beim Friseurbesuch oder beim Einkaufen fühlte sich Anna plötzlich von Unbekannten umgeben, selbst in der vertrautesten Umgebung war sie umringt von namenlosen Gesichtern.
    Und auch die Art der Störung hatte sich weiterentwickelt, neben Erinnerungslücken und blinden Flecken überfielen sie Furcht erregende Halluzinationen. Gesichter zitterten und verflossen, ihr Ausdruck löste sich auf und begann zu verschwimmen wie klar umrissene Konturen im tiefen Gewässer. Manchmal kamen ihr solche Gesichter vor wie Figuren aus heißem Wachs: Sie schmolzen und fielen in sich zusammen oder verfinsterten sich zu teuflischen Grimassen. Dann wieder vibrierten die Gesichtszüge, bebten, zuckten, zitterten und formten sich zu einem Schrei, einem Lachen, einem Kuss. All dies bündelte sich in ein und demselben Gesicht. Der reinste Albtraum.
    Um diesem Albtraum zu entkommen, senkte Anna tagsüber, wenn sie in der Stadt umherlief, den Blick zu Boden, und abends unterhielt sie sich, ohne ihre Gesprächspartner anzusehen. Allmählich verwandelte sie sich in ein unsicheres, zitterndes, angstvolles Wesen, das in den anderen nichts als das Abbild des eigenen Wahns wahrnahm. Ein Spiegel des Schreckens.
    Und auch ihre Empfindungen gegenüber Laurent hatte sie Ackermann nicht klar und deutlich beschrieben. Da war eine Irritation, die nie von ihrer Seite schwand. Immer blieb eine Spur Angst zurück, es war, als würde sie ihren Mann nur teilweise erkennen, als sagte ihr eine Stimme: >Er ist es, aber zugleich ist er es nicht.< Laurents Gesichtszüge hatten sich verändert, als wären sie von einem Schönheitschirurgen umgestaltet worden.
    Es war einfach absurd. Dabei hatten ihre Wahnvorstellungen ein noch absurderes Gegenstück, denn während Laurent ihr zusehends wie ein Fremder vorkam, gab es im Laden einen Kunden, der in ihr ein intensives Gefühl der Vertrautheit auslöste. Sie war sicher, ihn schon irgendwo gesehen zu haben... Zwar konnte sie nicht sagen, wann oder wo sie ihn gesehen hatte, doch jedes Mal, wenn sie sich über den Weg liefen, durchfuhr ihr Gedächtnis eine Unruhe, womöglich eine elektrostatische Erregung, nie jedoch mehr als ein Funken. Eine genaue
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