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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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schien plötzlich von Spannung und Feindseligkeit überladen.
    Laurent rieb sich das Gesicht, bevor er ankündigte: »Wir fahren wieder zu Ackermann!«
    »Was?«
    »Ich rufe ihn an. Wir machen einen Termin im Krankenhaus.«
    »Warum sagst du das?«
    Über die Schulter hinweg fuhr er sie an: »Du hast gelogen. Du hast erzählt, dass du nur das Problem mit den Gesichtern und keine weiteren Gedächtnisstörungen hättest.«
    Anna begriff, dass sie einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte, denn ihre Frage offenbarte einen weiteren Abgrund ihres Erinnerungsvermögens. Sie starrte auf Laurents Nacken, auf seine wenigen Locken, auf seinen geraden Rücken und konnte ahnen, wie betroffen und zornig er war.
    Seine Schulter drehte sich kaum merklich: »Du wolltest nie ein Kind. Das war deine Bedingung dafür, mich zu heiraten.«
    Sein Ton wurde lauter, er hob die linke Hand: »Selbst am Abend unserer Hochzeit musste ich dir schwören, dass ich dich nie darum bitten würde. Du verlierst den Kopf, Anna. Wir müssen etwas tun. Du musst diese Untersuchung machen lassen. Damit wir begreifen, was passiert. Wir müssen es aufhalten. Verflucht noch mal!«
    Anna kauerte sich ans andere Bettende. »Gib mir noch ein paar Tage. Bitte.«
    Er legte sich wieder hin und deckte seinen Kopf zu: »Ich rufe Ackermann nächsten Mittwoch an.«
    Sinnlos, ihm zu danken. Anna wusste nicht einmal, warum sie um Aufschub gebeten hatte. Was nützte es, die Wahrheit zu leugnen? Die Krankheit wurde immer schlimmer, Neuron nach Neuron, eine Hirnregion nach der anderen schien betroffen.
    In einigem Abstand zu Laurent glitt sie unter die Decke und dachte über das Rätsel mit den Kindern nach. Warum hatte sie einen solchen Schwur von ihm verlangt? Was war damals ihr Motiv gewesen? Anna konnte die Frage nicht beantworten, sie war sich selbst zum Rätsel geworden.
    In Gedanken spulte sie acht Jahre bis zum Tag ihrer Hochzeit zurück. Damals war sie dreiundzwanzig gewesen. Woran erinnerte sie sich genau? Da war ein Herrenhaus in Saint-Paulde-Vence, Palmen, von der Sonne verbrannte Rasenflächen, ein Kinderlachen. Sie schloss die Augen und versuchte, die Empfindungen von damals in sich wachzurufen. Sie sah einen Kreis auf einer Rasenfläche, der sich in die Länge zog, sah zu Zöpfen geflochtene Blumen, weiße Hände ...
    Plötzlich schwebte ein Schal aus Tüll in ihre Erinnerung. Der Stoff wirbelte vor ihren Augen hin und her, störte den Kreis, legte ein Netz über das Grün des Grases und hielt das Licht in bizarren Bewegungen fest.
    Der Stoff kam auf sie zu, sie spürte seine Struktur auf dem Gesicht, dann wickelte er sich um ihre Lippen. Anna öffnete lachend den Mund, aber das Netzgewebe drang ihr in die Kehle. Sie hechelte nach Luft, der Schleier hatte sich fest auf ihren Gaumen gelegt. Es war kein Tüll mehr, sondern Mull. Einfacher Operationsmull, der sie zu ersticken drohte.
    Sie schrie laut in der Nacht, doch der Schrei verhallte lautlos. Sie öffnete die Augen, der Schlaf hatte sie erneut überfallen, und ihr Mund war tief ins Kissen gedrückt.
    Wann würde dies endlich aufhören? Sie setzte sich auf und spürte wie zuvor den Schweiß auf ihrer Haut. Das klebrige feuchte Tuch ihres Nachthemds hatte das Gefühl des Erstickens hervorgerufen.
    Sie stand auf und ging in Richtung Bad, das neben dem Schlafzimmer lag. Sie tastete sich nach vorn, spürte den Türrahmen, und bevor sie Licht anmachte, schloss sie die Tür. Sie tippte auf den Schalter und wankte zum Spiegel über dem Waschbecken.
    Ihr Gesicht war voll Blut.
    Rote Streifen liefen über ihre Stirn, Blutkrusten hatten sich unter den Augen festgesetzt, bei den Nasenlöchern, um die Lippen. Zuerst dachte sie, sie hätte sich verletzt, doch als sie näher an den Spiegel trat, entdeckte Anna, dass sie nur aus der Nase geblutet hatte. Bei dem Versuch, die Nase zu putzen, hatte sie sich im Dunkeln mit ihrem eigenen Blut beschmiert. Auch ihr Sweatshirt war ganz nass.
    Sie drehte das kalte Wasser auf und hielt ihre Hände unter den Strahl. Kurz darauf war der Spülstein mit einem rötlichen Wasserfilm überzogen, und in ihrem Inneren machte sich die Gewissheit breit, dass das Blut ein Geheimnis zum Ausdruck brachte, das ihr Bewusstsein nicht wahrnehmen wollte, ein Geheimnis, das in einem organischen Strom aus ihrem Körper floh.
    Sie hielt ihr Gesicht unter den kalten Wasserstrahl, ihre Tränen vermischten sich mit durchsichtigen Spritzern, und sie konnte nicht aufhören, dem rauschenden Wasser
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