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Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel
Autoren: Heyne
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Aasfressern zu schützen. Es sah ganz so aus, als ob Berglöwen diese Angewohnheit teilten.
    » Ich rede mit dir, Junge!«
    Der Baum bewegte sich. Felix wagte einen Blick nach unten. Obwohl er zuvor nur eine Silhouette gesehen hatte, erkannte er Ulysses, den Fahrer des Abschleppwagens. In der Finsternis war er hübscher gewesen. Sein großer, quadratischer Schädel wies eine um fünfundvierzig Grad gebogene, windschiefe Nase auf, die aussah, als wäre sie schief in sein Gesicht geschraubt worden. Auch die Augen waren seltsam; das eine lag höher als das andere. Irgendwie glich er einem Porträt des späten Picasso.
    Ulysses hämmerte mit seinem Brecheisen auf den Baum ein.
    » Ich habe dich die ganze Nacht gesucht. Und jetzt kommst du auf der Stelle runter, Junge!«
    Felix glaubte nicht, dass dies eine gute Idee war. Eigentlich war es recht gemütlich dort oben. Er war durchaus bereit, bis zum Ende seiner Tage in der Baumkrone auszuharren. Er befand sich mindestens drei Meter über dem Waldboden, und Ulysses war viel zu riesig, um den Baum hinaufklettern zu können.
    » Okay, du hast es so gewollt.«
    Der Riese stapfte davon.
    Will er mich abfackeln? Oder den Baum umsäbeln?
    Der Gigant kam mit einer langen Kette zurück, legte sie um den Baum und dann ein Vorhängeschloss daran.
    » Baum fällt , Arschloch.«
    Felix sah, wie er zurück zum Abschleppwagen ging.
    Oh, nein.
    Felix starrte zu Boden. Selbst wenn er topfit gewesen wäre, würde es eine unsanfte Landung, doch in seinem jetzigen Zustand … Felix wollte gar nicht daran denken.
    Immer noch besser, als hinter einem Abschleppwagen hergezogen zu werden.
    Ulysses ließ den Motor an. Felix wusste, dass er mit jeder zusätzlich verstreichenden Sekunde mutloser werden würde. Also stieß er sich mit seinen zermalmten Händen vom Ast ab und wimmerte, als die gebrochenen Rippen in ihm verschoben wurden, ehe er zu Boden krachte.
    Als er aufkam, glaubte er, in der Hölle gelandet zu sein. Die Schmerzen füllten ihn ganz und gar aus, ließen keinen Platz für irgendeinen anderen Gedanken.
    Plötzlich hörte er ein lautes Knarzen, gefolgt von einem Krachen. Er öffnete seine mit Tränen gefüllten Augen und sah, wie der Baum nachgab und auf ihn stürzte.
    Sein letzter Überlebensinstinkt setzte ein, und Felix rollte beiseite, ehe der Baum zu Boden krachte. Mit Schwung landete er in einem Graben mit hohem Gras. Er sah, wie der Baum hinter dem Abschleppwagen hergezogen wurde.
    Geschafft. Noch bin ich nicht tot.
    Vage nahm er wahr, dass der Wagen langsamer wurde, dann anhielt und Ulysses ausstieg, um seine Arbeit zu begutachten.
    Muss aufstehen. Muss weg von hier.
    Wie durch ein Wunder raffte Felix sich auf. Er eilte geduckt davon, vorbei an dem Riesen, der vor dem Baum stand.
    » Wo zum Teufel bist du jetzt wieder hin, Jungchen?«
    Du willst wissen, wo ich bin? Ich steige gerade in deinen Abschleppwagen, Arschloch.
    Die Tür machte Felix zu schaffen, aber die Gangschaltung war noch viel schwieriger. Mittlerweile hatte er sich jedoch so an die Schmerzen gewöhnt, dass ein bisschen mehr oder weniger nichts ausmachte.
    Er trat aufs Gas und legte den Rückwärtsgang ein. Er fuhr über Ulysses, ehe der Riese eine Chance hatte, sich umzudrehen. Felix schlug sich den Schädel am Autodach an, als der Wagen über den Körper des Riesen holperte. Um auf Nummer sicher zu gehen, trat Felix auf die Kupplung, legte den ersten Gang ein und gab Gas. Nachdem er Ulysses gute zehn Meter mitgeschleppt hatte, blieb der Gigant endlich hinter dem Wagen auf dem Boden liegen. Felix hielt an, um sich zu vergewissern, dass er ganze Arbeit geleistet hatte.
    Und das hatte er. Von Ulysses war nicht mehr viel übrig. Felix machte ein zerfetztes Bein und etwa sechs Meter Darm aus. Der Rest des Giganten färbte den Waldboden rot.
    Felix drehte sich um und starrte auf das Rushmore Inn , das gleich einem Urzeitmonster im Wald kauerte, um sich jeden Augenblick auf sein Opfer zu stürzen. Halb gehend, halb stolpernd schaffte Felix es zur Eingangstür und versuchte die Klinke, doch die Tür ging nicht auf.
    Das störte Felix wenig. Er wusste, wie er dort reinkommen würde.
    Und sobald er erst einmal drin war, würde er jeden Freak umbringen, der ihm über den Weg lief.
    » Kelly!«
    Lettis Hals war so wund vom vielen Rufen, dass sie kurz davorstand, ihre Stimme zu verlieren. Aber seit dem ersten Schrei hatte sie nichts mehr von ihrer Tochter gehört.
    Fürchterliche Gedanken trieben sie unentwegt
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