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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire
Autoren: John Irving
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Hampshire sind, um wieder auf die Beine zu kommen, und er hält diese Frau irrtümlicherweise für einen normalen Gast des Hotels.
    Vielleicht trifft er das Opfer zufällig, wenn es unten auf einem der Landestege sitzt und versucht, wieder zu sich zu finden, und mein Vater tastet sich mit der Louisville-Keule, tap-tap-tap, hinaus auf den Landesteg, und Vier wedelt mit dem Schwanz, um meinen Vater wissen zu lassen, daß jemand da ist, und Vater fängt an zu plaudern. »Hallo, wer ist da?« wird er fragen.
    Und vielleicht sagt das Vergewaltigungsopfer: »Ich bin's nur, Sylvia.«
    »Ach ja, Sylvia!« wird Vater sagen, als kenne er sie schon ein Leben lang. »Nun, wie gefällt Ihnen das Hotel, Sylvia?« Und die arme Sylvia wird denken, das sei die sehr höfliche und indirekte Bezeichnung meines Vaters für das Vergewaltigungs-Notrufzentrum - »das Hotel« -, und sie wird einfach mitspielen.
    »Also, es hat mir sehr viel bedeutet«, wird sie sagen. »Ich meine, ich hatte wirklich das Bedürfnis, zu reden, aber ich wollte nicht das Gefühl haben, über irgend etwas reden zu müssen, bevor ich dazu bereit war; und das ist das Schöne hier, daß einen niemand unter Druck setzt, daß einem niemand sagt, das und das solltest du empfinden oder tun, und doch helfen sie einem so, daß man leichter zu diesen Gefühlen findet, als wenn man ganz auf sich allein gestellt wäre. Wenn Sie verstehen, was ich sagen will«, wird Sylvia hinzufügen.
    Und Vater wird sagen: »Natürlich verstehe ich das, meine Liebe. Wir sind ja schon seit Jahren im Geschäft, und genau darin liegt die Aufgabe eines guten Hotels: es bietet einfach den Raum und die Atmosphäre für das, was der einzelne braucht. Ein gutes Hotel macht Raum und Atmosphäre zu etwas Großzügigem, etwas Einfühlsamem - ein gutes Hotel macht Gesten, die einer Berührung, einem freundlichen Wort gleichkommen, und zwar genau in dem Moment (und nur in dem Moment), wo man das braucht. Ein gutes Hotel ist immer da für den Gast«, wird mein Vater sagen, während der Baseballschläger seinen Text und die dazugehörende Musik dirigiert, »aber der Gast darf nie das Gefühl haben, daß man ihm auf die Pelle rückt.«
    »Genau, ich glaube, das ist es«, wird Sylvia sagen - oder Betsy oder Patricia, Columbine, Sally, Alice, Constance oder Hope. »Es holt irgendwie alles aus mir heraus, aber nicht mit Gewalt«, werden sie sagen.
    »Nein, nie mit Gewalt, meine Liebe«, wird Vater zustimmen. »Ein gutes Hotel erzwingt nichts. Ich rede da gern von einem Sympathieraum«, wird Vater sagen, ohne je einzugestehen, daß er dafür Schraubenschlüssel und seiner Sympathiebombe zu Dank verpflichtet ist.
    »Und«, wird Sylvia sagen, »alle sind so nett hier.«
    »Genau das ist es, was mir an einem guten Hotel gefällt!« wird Vater sich begeistern. »Alle sind nett. In einem Klasse-Hotel«, wird er Sylvia oder jedem anderen Zuhörer sagen, »kann der Gast diese Nettigkeit erwarten. Sie kommen zu uns, meine Liebe - entschuldigen Sie bitte, wenn ich das so sage -, wie jemand, der verstümmelt worden ist, und wir sind Ihre Ärzte und Krankenschwestern.«
    »Ja, das stimmt«, wird Sylvia sagen.
    »Wenn Sie zerrissen und gebrochen in ein Klasse-Hotel kommen«, wird Vater unermüdlich weitermachen, »werden Sie, wenn Sie dieses Klasse-Hotel verlassen, wieder ganz sein. Wir fügen Sie einfach wieder zusammen, aber das geschieht auf eine fast mystische Weise - das ist der Sympathieraum, von dem ich rede -, denn mit Gewalt kann man keinen wieder zusammenfügen; da muß jeder auf seine Art zusammenwachsen. Wir bieten lediglich den Raum«, wird Vater sagen, während der Baseballschläger in der Art eines Zauberstabes das Vergewaltigungsopfer segnet. »Den Raum und das Licht«, wird mein Vater sagen, als sei er ein Heiliger, der einer anderen heiligen Person den Segen erteilt.
    Und genau so sollte man mit einem Vergewaltigungsopfer umgehen, sagt Susie; sie sind heilig, und man behandelt sie, wie ein Klasse-Hotel seine Gäste behandelt. Jeder Gast in einem Klasse-Hotel ist ein Ehrengast, und jedes Vergewaltigungsopfer im Hotel New Hampshire ist ein Ehrengast - und heilig.
    »Es ist wirklich ein guter Name für unser Zentrum«, räumt Susie ein. »Das Hotel New Hampshire - irgendwie hat das Stil.«
    Und mit Unterstützung der regionalen Behörden und einer wunderbaren Organisation von Ärztinnen, die sich die ›Kennebec Women's Medical Associates‹ nennt, führen wir ein echtes Vergewaltigungs-Notrufzentrum in
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