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Das Hexenkraut

Das Hexenkraut

Titel: Das Hexenkraut
Autoren: Franziska Gehm
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roten, unbändigen Haaren, verführerischen Augen und blasser Haut. Die Schwarzleiberin hatte die langen, schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten. Sie war groß, schlank und hatte ein herzliches, offenes Gesicht. Ihre Wangen leuchteten rosarot. Doch Jakob wusste, dass er sich vom Äußeren nicht täuschen lassen durfte.
    »Ich komme mit«, erklang auf einmal eine Stimme.
    Jakob sah zur Kammer. Im ersten Moment dachte er, ein Junge würde im Türrahmen stehen. Doch als er genauer hinsah, erkannte er ein Mädchen. Es war vielleicht ein oder zwei Jahre älter als er.
    »Das ist Marthe, meine Tochter«, sagte die Schwarzleiberin.
    Jakob nickte Marthe zu. Sie starrte stur zurück. Sie war groß und dünn, hatte eckige Schultern und ähnelte mit den kurzen, schwarzen, struppigen Haaren dem Besen der Schwarzleiberin. Ihre kantige Nase wollte nicht so recht zu den weichen Lippen passen.Sie hatte die gleichen stechend blaugrünen Augen wie ihre Mutter. Bei Marthe lagen sie tiefer in den Augenhöhlen und schienen umso mehr zu glühen.
    Jakob war sich sofort sicher, dass er sich mit dieser Marthe nicht so schnell anfreunden würde. Wenn überhaupt jemals. Vielleicht war das auch besser so.
    Die Schwarzleiberin schlang sich ein Wolltuch um die Schultern und öffnete die Tür. »Gehen wir.«
    Die Gassen der Kleinstadt hatten sich mittlerweile mit Leben gefüllt. Boten, Söldner, Mägde, Handwerker, Kaufleute und Hausierer waren auf den Beinen. Jakob bemerkte, dass einige Leute der Schwarzleiberin und ihrer Tochter verächtliche Blicke zuwarfen. Andere musterten sie angsterfüllt. Keiner grüßte die beiden. Nur an einer Straßenecke kam ein alter Mann direkt auf die Schwarzleiberin zugelaufen. Jakob kannte ihn. Es war der alte Zaubel. Er war einst Hofmusiker gewesen. Doch jetzt zitterten seine Hände so sehr, dass er die Tasten auf dem Cembalo nicht mehr richtig traf.
    Er umschloss die Hand der Schwarzleiberin mit beiden Händen und schüttelte sie unentwegt. »Ich danke dir. Tausend Dank!« Das lange, graue Haar des alten Zaubel wehte, als er sich vor der Schwarzleiberin verneigte wie vor einer edlen Hofdame.
    Die Schwarzleiberin zog den alten Mann am Arm wieder hoch. »Deiner Tochter geht es also besser?«
    Der alte Zaubel nickte. »Viel besser. Wie kann ich dir nur jemals danken? Wo du doch das Kostbarste, was ich habe, gerettet hast.«
    Marthe verschränkte die Arme. »Du kannst nicht zahlen?«
    »Schon gut«, sagte die Schwarzleiberin. »Zahl mich später aus, wenn bessere Zeiten anbrechen.«
    Der alte Zaubel strich der Schwarzleiberin über den Arm. »Danke. Gott möge dich vor Unrecht und Unheil beschützen.«
    Die Schwarzleiberin drückte die Hand des alten Mannes, dann eilten sie weiter.
    »Er wird niemals zahlen«, zischte Marthe.
    »Hätte ich die junge Elsche deswegen sterben lassen sollen?«, fragte die Schwarzleiberin leise, doch Jakob hörte es dennoch.
    »Nein, natürlich nicht«, erwiderte Marthe. »Aber von danke, danke, danke werden wir nicht satt.«
    Bei dem Gedanken, dass die Schwarzleiberin einen Lohn fordern würde, krampfte sich Jakobs leerer Magen zusammen. Sie hatten ihren letzten Taler Dr.   Rothaupt gegeben. Auch Jakob würde die Schwarzleiberin auf später vertrösten müssen, solltesie ihre Mutter heilen. Sollte sie   – allein darauf kam es jetzt an.
    »Wir sind da«, sagte Jakob und trat ins Haus. »Wartet kurz hier.«
    Jakob ging in die Kammer. »Mutter? Die Schwarzleiberin ist hier«, sagte er leise. Die Mutter öffnete kurz die Augen. »Danke.« Sie nickte.
    Jakob ging zurück in die Stube. »Ihr könnt zu ihr.« Die Schwarzleiberin verschwand sofort hinter dem Leinentuch, das im Türrahmen hing.
    Marthe sah sich um. »Wohnst du alleine mit deiner Mutter hier?«
    Jakob nickte langsam.
    »Wo ist dein Vater?«, fragte Marthe.
    »Er ist   … nicht mehr da.«
    Marthe setzte sich im Schneidersitz auf einen Schemel. »Ist er ein Leichtfuß? Das war mein Vater nämlich.«
    »Ein Leichtfuß?« Jakob runzelte die Stirn. »Glaub nicht. Er ist   … er ist tot. Er war krank, genau wie meine Geschwister. Dr.   Rothaupt meinte, es wäre eine Seuche gewesen.«
    Marthe sah Jakob ernst an. »Der Schwarze Tod?«
    Jakob zuckte mit den Schultern und blickte auf seine Zehen. »Kann sein.« Er mochte es nicht, wennMarthe ihn mit ihren blaugrünen Augen so genau ansah. Und er mochte nicht an den Tod von seinem Vater und seinen drei Geschwistern denken.
    In dem Moment wurde der Leinenvorhang aufgeschlagen und
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