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Das Hexenkraut

Das Hexenkraut

Titel: Das Hexenkraut
Autoren: Franziska Gehm
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hatte auf einmal das Gefühl, jemand beobachtete ihn. Er spürte, wie ihm etwas langsam über den Nacken lief. Im ersten Moment dachte er, es wäre eine Spinne. Doch dann wurde ihm bewusst, dass es sein eigener, kalter Schweiß war.
    Er bückte sich langsam und tastete auf dem Boden nach etwas, das er als Waffe benutzen konnte. Er fand nur einen Stein, so groß wie ein Apfel. Fest umschloss er ihn mit der Hand, bereit, ihn jederzeit seinem Feind entgegenzuschleudern.
    Noch immer war der Mond von einer Wolke verdeckt. Jakob konnte kaum die eigenen Hände vorm Gesicht erkennen, so dunkel war es. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er tastete sich mit vorsichtigen Schritten vorwärts, den Berg hinauf. Der Ruf eines Nachtvogels erklang, Jakob zuckte zusammen. Beinahe wäre ihm der Stein aus der Hand gerutscht. Wieder sah er sich nach allen Richtungen um. Und wieder sah er nichts als Finsternis.
    Plötzlich hörte er ein seltsames Geräusch. Es klang, als würde etwas über eine Steinfläche gleiten.Kurz darauf klackten Steine aneinander. Dicht hinter ihm. Jakob fuhr herum. Nichts. Nur schwarze, tiefe Nacht. Hatte er selbst die Steine losgetreten? Eine Weile stand Jakob unentschlossen da. Wie sollte er Marthe in dieser Finsternis finden? War es nicht besser, zum Lager zurückzukehren? Vielleicht war Marthe bereits wieder dort. Aber   … wo war das Lager eigentlich? Jakob hatte sich so oft gedreht und dabei nur auf Geräusche und Schatten geachtet, dass er die Orientierung verloren hatte.
    »Marthe!«, rief er verzweifelt. Seine Stimme klang dünn und verloren.
    Keiner antwortete ihm. Vor dem tiefblauen Nachthimmel zeichneten sich die Berge ab. Dunkel und starr schwiegen sie ihn an.
    Auf einmal hörte Jakob wieder dieses seltsame Geräusch   – als würde sich jemand oder etwas über eine Steinfläche ziehen. Zögerlich wagte er einen Schritt in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Er ahnte mehr, als er sehen konnte, dass er vor einem gewaltigen, dunklen Fels stand. Etwas lauerte bei diesem Fels auf ihn, das spürte er. Etwas Gefährliches. Etwas, das sich jeden Moment auf ihn stürzen konnte.
    Jakob klebte die Zunge am Gaumen. Er hatte dieAugen weit aufgerissen, doch dadurch sah er auch nicht besser. Seine Hände waren kalt und feucht. Er spürte seine Beine nicht mehr. Als seine Zähne zu klappern begannen, presste er die Lippen fest aufeinander.
    Ganz langsam ging er noch einen Schritt vorwärts. Genau in dem Moment trat der Mond hinter den Wolken hervor und ließ sein kühles Licht auf den Berg fallen. In letzter Sekunde sah Jakob, wie etwas von oben auf ihn herabschoss. Es hatte die Arme wie Fänge ausgebreitet, kreischte wie ein unbändiges Tier und hatte die gierigen, eiskalten Augen weit aufgerissen.

Nachtgestalten

    Die Bestie stürzte sich auf Jakob, riss ihn zu Boden, hielt ihn mit den Klauen fest umklammert, während sie im Taumel bergabwärts strauchelten. Sie schrie Jakob direkt ins Ohr. Der Schrei ging ihm durch Mark und Bein. Jakob merkte gar nicht, dass er ebenfalls schrie. Noch immer hielt er den Stein in der Hand fest umklammert. Es gelang ihm, den Arm auszustrecken und auszuholen. Gerade, als er der Bestie den Stein mit ganzer Wucht an den Kopf schleudern wollte, rutschte der ihm aus der feuchten Hand. Dennoch traf er sein Ziel, wenn auch nicht ganz so heftig.
    »AUAAA!«, schrie die Bestie. Sie ließ Jakob los und fasste sich an den Kopf. »Bist du verrückt? Beinahe hättest du mein Auge getroffen!«
    Jakob rappelte sich auf und starrte die Bestie an, die am Boden hockte. »DU?«
    Marthe rieb sich den Kopf. »Wer denn sonst?«
    »Ich dachte, du bist eine   … ein   …«
    »Was? Ein Räuber? Ein Bär? Oder eine Hexe?«
    Jakob verschränkte die Arme. »Wieso jagst du mirauch so einen Schrecken ein?« Er beäugte Marthe argwöhnisch. Eben, als sie sich vom Felsen auf ihn gestürzt hatte, hatte sie wirklich wie eine Bestie ausgesehen. Oder wie eine Hexe. Diese unheimlichen Augen. Und dieser Schrei. Jakob fröstelte allein bei der Erinnerung daran.
    »Und wieso wirfst du mir gleich einen Stein an den Kopf?«
    »Ich dachte, du wolltest mich umbringen.« Jakob kniete sich neben Marthe. Er zögerte einen Moment. Dann strich er über die Stelle, an der Marthe der Stein getroffen hatte. Er spürte eine Beule. »Es tut mir leid.«
    »Schon gut«, sagte Marthe und fügte leise hinzu: »Mir tut es auch leid. Dass ich dich erschreckt habe, meine ich.« Dann breitete sich ein Grinsen auf ihrem
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