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Das Hexenkraut

Das Hexenkraut

Titel: Das Hexenkraut
Autoren: Franziska Gehm
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Gesicht aus. »Aber du musst zugeben, dass ich ziemlich gut war als Nachtschreck, oder?«
    Jakob verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen und nickte.
    »Du hättest dein Gesicht sehen sollen«, fuhr Marthe fort. »Weiß wie Kalk! Und deine Hände haben gezittert.«
    »Und du hättest deine Augen sehen sollen«, erwiderte Jakob. »Und dein Schrei! Wie eine Hexe.«
    Marthe lachte. Doch dann bemerkte sie, dass Jakob sie verstohlen musterte. »Was ist los? Hast du etwa Angst vor mir? Glaubst du, ich bin wirklich eine Hexe?«
    Es kam Jakob vor, als schimmerten Marthes Augen traurig. »Blödsinn«, sagte er schnell.
    Marthe nickte bestimmt. »Das wäre richtig großer Blödsinn. Ich bin keine Hexe. Und meine Mutter ist auch keine. Oder hast du meine Mutter schon einmal mit einem Besen herumfliegen sehen?«
    Jakob schüttelte den Kopf.
    »Na also.«
    »Aber die Leute in der Stadt reden über deine Mutter. Sie glauben, sie hat schwarze, magische Kräfte. Der Gerber hat gesagt, sie hat seine Felle verdorben, und die Stangen-Trine hat erzählt, sie hätte ihrer Tochter furchtbare Warzen angehext.«
    »Alles erstunken und erlogen.« Marthe nahm einen kleinen Stein in die Hand und warf ihn den Hang hinab. »Mit dem Gerber hat meine Mutter überhaupt nichts zu schaffen. Das ist es wahrscheinlich, was den Gerber ärgert, und deshalb erzählt er die Geschichte mit den verdorbenen Fellen. Und die Stangen-Trine   … Es stimmt, meine Mutter hat bei der Geburt ihrer Tochter geholfen. Ich war dabei.Und ich kann bezeugen, dass die kleine Mette mit furchtbaren Warzen zur Welt kam. Aber daran war gewiss nicht meine Mutter schuld.«
    »Wieso bist du dir so sicher?«, fragte Jakob.
    »Weil meine Mutter sich niemals von Gott abwenden und einen Bund mit dem Teufel eingehen würde, um magische Kräfte zu erlangen. Sie ist eine gottesfürchtige Frau. Sie will den Menschen helfen, kein Unheil bringen.«
    »Und was ist mit all den anderen Geschichten? Neulich auf dem Markt habe ich gehört, wie zwei Bauern erzählten, die Schwarzleiberin hätte durch einen Schadenszauber ihre Ernte verdorben.«
    Marthe schnaufte. »Der Hagel hat die Ernte verdorben, nicht meine Mutter.«
    »Die Bauern sagen, sie hätte den Hagel herbeigehext.«
    »Vielleicht hat der Teufel persönlich den Hagel geschickt. Meine Mutter war es jedenfalls nicht. Sie kann überhaupt kein Wetter machen. Sie versteht sich nur auf Kräuter.«
    Jakob fragte mit belegter Stimme: »Und was macht sie mit den Menschenaugen, die sie sammelt, oder mit der riesengroßen Spinne? Und mit der Mumienhand?«
    »Menschenaugen?« Marthe sah Jakob entsetzt an.
    »Bei euch zu Hause im Regal in der Holzschale. Die Spinne lag auf einem flachen Teller und die Mumienhand lag im obersten Regalfach.«
    Marthe stutzte. Dann grinste sie kurz. »Das ist keine Mumienhand, sondern ein alter Zunderpilz an einem Holzscheit. Die Spinne ist eine ganz normale Wurzel. Und die Menschenaugen, die du gesehen hast, das sind alte Schneckenhäuser. Glaub mir, meine Mutter ist ebenso wenig eine Hexe wie deine Mutter.«
    Als Marthe Jakobs Mutter erwähnte, fiel ihm mit einem Mal wieder ein, warum sie hier waren. Im Moment war unwichtig, ob die Schwarzleiberin eine Hexe war oder nicht. Sie war die Einzige, die Jakobs Mutter helfen konnte. Ob sie es mit Magie oder Kräutern tat, war Jakob egal, solange seine Mutter nur am Leben blieb. »Lass uns schlafen«, sagte Jakob. »Wir haben morgen noch einen weiten Weg vor uns.«
    Marthe stand auf und hielt Jakob am Arm fest. Sie sah ihm tief in die Augen. »Glaubst du mir? Glaubst du mir, dass meine Mutter keine Hexe ist?«
    Jakob hielt Marthes Blick ein paar Sekunden stand. Dann wandte er sich ab, ohne eine Antwort zu geben.

Auf der Flucht

    Als sie am nächsten Morgen aufwachten, fielen die ersten Tropfen aus dicken, dunkelgrauen Wolken. Schnell packten sie ihre Sachen in den Mantelsack und machten sich auf den Weg zum Gipfel. Der Regen nahm zu und die Tropfen prasselten unablässig auf sie herab. Jakob hingen die nassen Haare ins Gesicht, von seiner Nase liefen die Regentropfen und seine Kleider waren vollkommen durchnässt. Bei jedem Schritt quoll Wasser aus den Lederfüßlingen. Es war schwer, auf dem glatten, nassen Felsgestein Halt zu finden. Mehrmals rutschten die beiden aus. Es gelang ihnen zum Glück immer, sich in letzter Sekunde mit den Händen abzufangen.
    Am liebsten hätte sich Jakob bei einem Felsen untergestellt und gewartet, bis das Unwetter vorbei war. Aber dazu
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