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Das Hexenkraut

Das Hexenkraut

Titel: Das Hexenkraut
Autoren: Franziska Gehm
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Unauffällig wischte sie sich dabei den Schweiß von der Stirn. »Es ist fast Mittag. Einverstanden, ruhen wir uns kurz aus.«
    Jakob setzte sich neben Marthe auf einen Stein und blickte ins Tal hinab. Dort unten lag seine Heimatstadt. Von hier oben sahen die Häuser ganz klein aus, als würden Puppen darin wohnen. Jakob kniff die Augen zusammen und versuchte, sein Haus zu finden. Aber es gelang ihm nicht. Wie es seiner Mutter wohl ging? Er hatte die Nachbarin gebeten, sich um sie zu kümmern, solange er weg war. Auch die Schwarzleiberin wollte ab und zu vorbeisehen.
    Jakob war noch immer unwohl bei dem Gedanken, seine Mutter mit dieser Frau alleine zu lassen. Vielleicht gab es dieses Blutkraut gar nicht und die Schwarzleiberin hatte Jakob nur weggeschickt, um ihre Hexenkünste ungestört auszuüben. Und warum begleitete ihn Marthe freiwillig in die Todesschlucht? Zunächst hatte Jakob sich nur darüber gefreut. Doch langsam wunderte er sich auch. Er schielte unauffällig zu ihr hinüber. Marthe öffnete gerade den Mantelsack. Vielleicht, schoss es Jakob durch denKopf, war auch sie eine Hexe. Womöglich führte sie ihn direkt zum Hexentanz auf die Berggipfel!
    »Hier«, sagte Marthe und hielt Jakob ein Stück Fladen hin.
    Jakob sah auf das Fladenstück und zögerte. Was, wenn der Fladen verhext war?
    »Hast du keinen Hunger? Nimm schon.« Marthe drückte Jakob das Fladenstück in die Hand und biss selbst von einem anderen Stück ab.
    Jakob sah Marthe einen Moment beim Kauen zu. Dann hielt er es nicht mehr aus. Er stopfte sich den harten Fladen in den Mund.
    »Bis es dunkel wird, müssen wir es bis kurz unterhalb der Gipfel schaffen«, sagte Marthe.
    Jakob schluckte das letzte Stück Fladen herunter. Er blickte den steilen Hang hinauf. »Ganz schön weit.«
    Marthe zuckte mit den Schultern. »Sooo weit ist es gar nicht. Es sieht nur weit aus. Ich würde am liebsten immer weiter, einmal um die ganze Welt herum.«
    »Wollte ich auch mal«, sagte Jakob. »Na ja, zumindest in ein paar andere Städte.«
    »Und jetzt willst du nicht mehr?« Marthe sah Jakob erstaunt an.
    Jakob hob ein Stöckchen auf und kratzte damitauf dem Boden. »Ich wollte bei meinem Vater in die Lehre gehen. Tischler werden, wie er. Danach wollte ich auf Wanderschaft gehen. Aber jetzt   …«
    »Vielleicht kannst du bei einem anderen Tischler als Lehrling anfangen.«
    Jakob nickte zögernd. Dann warf er den Stock weg. »Und du? Willst du irgendwo als Magd arbeiten?«, fragte Jakob.
    »Ich will Arzt werden«, erwiderte Marthe.
    »Arzt?« Jakob sah Marthe mit großen Augen an. »Aber   … du bist eine Frau.«
    »Meine Mutter ist auch eine Frau und heilt die Menschen genauso gut wie jeder Arzt«, gab Marthe zurück.
    »Dann bringt sie dir all ihre   … ihre Künste bei?«, fragte Jakob.
    Marthe nickte.
    Wenn die Schwarzleiberin eine Hexe war und Marthe bei ihr in die Lehre ging   – war sie dann auch eine Hexe? Auf einmal gab Jakobs Magen ein seltsames Geräusch von sich. Jakob fasste sich mit der Hand an den Bauch. War das der verhexte Fladen? Er lauschte in sich hinein. Bis jetzt ging es ihm gut. Der Fladen hatte ganz normal geschmeckt. Er war nur etwas hart gewesen.
    »Und du? Willst du unbedingt Tischler werden?«
    Jakob stülpte die Lippen nach außen. »Weiß nicht.«
    »Was kannst du denn gut?«, fragte Marthe.
    Jakob überlegte eine Weile. Wie jedes Kind half er viel im Haushalt. Er sammelte Brennholz. Er holte Wasser vom Brunnen. Er hatte auf seine kleinen Geschwister aufgepasst. Aber das konnte jedes Kind. Es gab allerdings eine Sache, die nicht jedes Kind konnte. »Schwimmen.«
    Marthe zog die Augenbrauen hoch. Ihre Augen leuchteten. »Du kannst wirklich schwimmen?«
    »Vor ein paar Sommern habe ich am Harzensteinersee einen Gesellen getroffen. Er hieß Merten und war auf Wanderschaft. Merten hat mir das Schwimmen beigebracht. Es war ganz einfach. Wir sind um die Wette geschwommen und getaucht.«
    Marthe legte den Kopf schräg. »Wenn du richtig gut schwimmen kannst, kannst du vielleicht Wächter des Sees werden.«
    »Oder Froschjäger«, sagte Jakob und machte ein Froschgeräusch.
    Marthe blies die Backen auf. »Oder Seeungeheuer.« Sie lachten beide.
    Dann reichte Marthe ihm einen Krug mit dünnem Bier. Jakob trank, ohne zu zögern. Wenn Marthe wirklich eine Hexe wäre, hätte sie ihn doch schon längst verzaubert. Oder? Wozu sollte sie sich erst einen Berg hinaufquälen? Außerdem könnte sie dann einfach ins Höllengebirge fliegen.
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