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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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geredet. Darum haben wir die Männer in den Sturm geschickt. Zehn Mann alles in allem. Álfheiður hat sie ganz schnell zusammengeholt. Nacht und Sturm und Lawinen – so hat’s ausgesehen, sagt er, sieht den Jungen an und wiederholt: So und nicht anders hat’s ausgesehen.
    Als ob er das nicht wüsste, sagt seine Frau leise und sieht den Jungen ebenfalls an. Schöne Augen hat sie, wie alte, warme Sterne. Es waren doch dieselbe Nacht und derselbe Sturm, durch die sie hergekommen sind.
    Ólafur holt einen Stuhl von der Wand und setzt sich, nickt: Ja, natürlich, du hast recht, sie wurden ja förmlich hier hereingeweht, und ich bin so erschrocken, dass ich das letzte Glas Sherry dieses Winters verschüttet habe. Weg ist der gute Tropfen, dahin der leckere Geschmack!
    Er trommelt mit seinen eher kurzen Fingern auf sein Knie und pfeift vor sich hin.
    Ólafur und ich, sagt Steinunn erklärend, waren noch wach und haben Korrespondenz erledigt, und dann kamt ihr …
    Und zwar mit Getöse, wirft Ólafur ein.
    Getöse kann man es nennen, stimmt sie zu.
    Bum, sagt Ólafur und haut sich auf den Schenkel. Der Junge zuckt zusammen.
    Doch aus dem, was du gesagt hast, ließ sich schließen, dass ihr beiden nicht allein unterwegs wart, und darum haben wir die Männer in die Berge hinaufgeschickt.
    In ein Wetter, das außer Rand und Band war, wirft Ólafur ein, aber sie haben Ásta von Nes gefunden, einen Schlitten und die Überreste eines Sarges, mehr jedoch nicht.
    Unter einem plötzlichen Schwächeanfall schließt der Junge die Augen. Er sieht das Bild von Hjalti auf dem Hof von Nes vor sich, es füllt sein ganzes Bewusstsein aus, wie er einen großen Schneeball vor sich her wälzte, wie er den Kleinsten unter dem Arm trug wie einen Sack und die anderen Kinder neben ihm herhüpften. War es denkbar, dass dieser große, wenn auch etwas niedergedrückte Mann umgekommen war? Der kommt schon durch, hatte Jens gesagt, und Jens weiß so etwas. Er muss es wissen. Vielleicht war Hjalti einfach zu den Kindern zurückgegangen; da, in der Bucht hinter der Welt, da war sein Platz. Die Kinder brauchen ihn, die Welt kann doch nicht so gemein sein, ihnen diesen großartigen Mann zu nehmen.
    Jetzt solltest du etwas essen, sagt Steinunn. Ihre Stimme klingt angenehm, so als würde sie einen in den Arm nehmen. Manche Menschen brauchen nur bei einem zu sitzen und mit einem zu reden, mit ihrer Stimme über Müdigkeit und Wunden zu streichen.
    Er schlägt die Augen auf. Die kleinere Frau, das Stück Strick, ist wieder da, mit einem Tablett, von dem Dampf aufsteigt. Sie muss wohl diese Álfheiður sein, die die Männer zusammengeholt hat, um nach Hjalti zu suchen. Und nach Ásta, obwohl sie tot war und es nichts bringt, nach Toten zu suchen, denn man sucht nicht nach dem, was nicht mehr existiert. Von unten hört er Kinderlachen heraufdringen, das Leben lacht weiter, dem Tod zum Trotz, es ist nicht auszuhalten, geschmacklos, es ist so wichtig, unser Halt.
    Steinunn bittet ihn, sich aufzusetzen, und sie steckt ihm ein Kissen hinter den Rücken. Diese Álfheiður setzt das Tablett mit dampfender Suppe auf seinem Schoß ab und beugt sich über ihn, um es zurechtzurücken. Ein schwerer, leicht süßlicher Duft steigt aus ihrem Ausschnitt auf. Der Junge starrt lange auf den Teller.
    Iss nur, Junge, sagt Steinunn.
    Hjalti, sagt er, während er löffelt, arbeitet als Knecht bei Bjarni und Ásta oder vielleicht besser: arbeitete. Er kommt mit den Zeiten durcheinander, soll er nun in der Gegenwart oder in der Vergangenheit von ihm sprechen? Stirbt Hjalti, wenn er in der Vergangenheit von ihm redet?
    Ich kann mich an keinen Hjalti erinnern, sagt Steinunn, ich bin aber auch sehr vergesslich, was Namen angeht, und bei Menschen auch. Es gibt Menschen, an die kann man sich einfach nicht lange erinnern.
    Die Menschen sind verschieden, sagt Ólafur.
    Und Álfheiður: Ich kannte mal einen, der so hieß, aber der ist vor vielen Jahren ertrunken.
    Ólafur: Im Meer, du meine Güte, ist das furchtbar! Hatte er Familie?
    Álfheiður: Eine Frau und vier Kinder.
    Da sieht man’s mal wieder, sagt Ólafur und seufzt leise. So etwas dürfte es doch gar nicht geben.
    Álfheiður: Es gibt also doch Gerechtigkeit auf dieser Welt, hat seine Frau gesagt, als man ihr davon berichtete.
    Wie bitte?, sagt Ólafur.
    Über seine Suppe gebeugt, sagt der Junge entschieden: Hjalti ist nicht ertrunken. Er war … ist Knecht bei Bjarni und Ásta … war, denn sie ist ja tot.
    Die Suppe ist
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