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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Etwas sehr Gutes. Es wurde eine Hochzeit gefeiert.
    Sie: Glaubst du, es ist schön zu heiraten? Waren sie glücklich?
    Nein, sagt er. Ich bezweifle, dass es genügend Glück auf der Welt gibt, denn so viele müssen ohne es leben. Ich mag diesen Gestank nicht einatmen, sagt er weiter. Darum rücken sie tiefer in die Höhle hinein. Man kann sich an der Wand entlangschieben, schürft sich nur ein bisschen auf dabei. Tiefer drinnen ist es dunkel, es ist die Dunkelheit der Erde. Der Untergrund ist weich, aber die Decke so niedrig, dass sie kaum aufrecht sitzen können.
    Wir können uns hinlegen, schlägt sie vor.
    Stimmt, sagt er und legt sich hin.
    Sie: Wir sind klitschnass.
    Er: Das ist erklärlich.
    Sie: Du zitterst.
    Er: Du auch.
    Das ist bloß die Kälte, sagt sie.
    Ich weiß, sagt er.
    Sie schlägt vor: Wir sollten die Sachen ausziehen, sie sind so nass. Wir befinden uns in der Erde, in einem Felsen, im Dunkeln, was sollen wir mit Kleidung anfangen, die uns nicht warm hält?
    Das weiß ich auch nicht, sagt er.
    Dann ziehen wir sie jetzt aus, sagt sie, und das tun sie, in der Enge. Dann liegen sie nackt nebeneinander, zittern vor Kälte und Leben, und der Sog des Meeres dringt deutlich zu ihnen herein, und es ist der Sog des Todes.
    Die Welt ist jetzt sehr weit weg.
    Ja, sagt er, fast genauso weit wie der Jupiter.
    Wie weit ist das?
    Sechshundert Millionen Kilometer.
    Der Jupiter, sagt sie.
    Ja, sagt er, und dann erzählt er ihr auf einmal von den Briefen seiner Mutter. Das hat er vorher bei niemandem getan. Nicht einmal bei Bárður. Aber er hat auch noch nie nackt im Innern der Erde gelegen, vor Kälte schlotternd, das Meer draußen, Kolbeinn ertrunken und er selbst bald tot. Er erzählt, sie hört zu.
    Dann sagt sie: Mir ist kalt, und rutscht näher, legt die Arme um ihn, und da tut er das Gleiche, denn das Leben fordert es, wir fordern das, sein Blut verlangt danach, es sagt: Umarme sie!
    Er umarmt sie, und bald geschieht das, was wir nicht länger beschreiben können. Er erzählt alles, sein Leben strömt nur so aus ihm heraus, als wollte er alles in Worte fassen, bevor es zu spät ist, bevor Kälte und Erschöpfung ihn zum Schweigen bringen.
    Alle sind gestorben, sagt er. Was ist mit Jens?, fragt er. Du hast geschrieben, er habe es nach Hause geschafft. Woher weißt du das?
    Und da verrät sie es ihm, sie flüstert es ihm zu, denn sie liegen so dicht beieinander, dass Flüstern reicht, so dicht, dass Atmen reicht. Sie atmet ihm zu, dass Jens bei Salvör aufgetaucht ist.
    Er kam auf dem Heimweg in der Nacht zu ihr. Salvör hatte die letzten Nächte schlecht geschlafen, Jens hätte längst zurück sein müssen. Es hatte schlechtes Wetter gegeben, Stürme, vielleicht war er aufgehalten worden, aber trotzdem, so lange? Vielleicht war er umgekommen, oder – und das wäre fast noch schlimmer – vielleicht traute er sich nicht wieder zu ihr. Sie hatte beim letzten Mal zu viel gesagt, Worte, von denen sie geglaubt hatte, dass sie in der Sprache gar nicht mehr vorkämen, erst recht nicht zwischen Mann und Frau. Was, wenn sie ihn abgeschreckt hatte? Sie wachte auf, weil die Hunde unruhig wurden, ging nach unten, schaute nach draußen und sah nicht weit vom Hof zwei Pferde, auf einem saß ein großer Mann.
    Bist du gekommen, um mich zu küssen?, fragte Salvör ihn.
    Nein, antwortete Jens und schaute zu Boden, weil das ganze Leben eine Enttäuschung gewesen war und weil er sich nicht sicher war, ganz und gar nicht sicher, ob sie noch weitere verkraften würde.
    Ich bin gekommen, um dich zu holen, traute er sich schließlich zu sagen. Er hatte alles durchmachen müssen, um den Mut aufzubringen, das zu sagen.
    Woher weißt du das?, fragt der Junge, und in dem Moment wird es ihm klar. Deine Tochter, sagt er.
    Ja, sagt sie.
    Sie heißt Salvör – wie ihre Großmutter?
    Ja, sagt sie. Ja, sagt Álfheiður, die einen Brief von ihrer Mutter erhalten hat, in dem es hieß: »Er ist also nicht nur gekommen, um mich zu küssen, sondern um mit mir zu leben. Seine Schwester bekam solche Angst, als sie mich sah, dass sie weggelaufen ist, aber das wird sich mit der Zeit legen.«
    Darum hast du mich danach gefragt, ob Jens’ Hände wehtun.
    Ja, sagt sie.
    Sie tun nicht weh.
    Ich weiß.
    Hat er schwere Schäden zurückbehalten?
    Er hat zwei Zehen und einen Finger verloren, aber eine Frau bekommen.
    Dann ist er gut davongekommen.
    Ja.
    Mir scheint, das Wasser kommt näher, sagt der Junge. Das Rauschen ist lauter geworden.
    Ja, wenn eine
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