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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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grünlich. Ich schaltete sie aus. Das grünliche Schimmern blieb. Ein phosphorartiger Geruch stach mir in der Nase. Die Flechten. Überall um mich herum.
       Wochenlange Analysen, Recherchen, Vermutungen, um die Herkunft dieser Pflanze zu ermitteln. Jetzt sah ich sie. Ich befand mich am Ursprung des Rätsels, wie jene Ägyptologen, die das Grabmal Tutanchamuns entdeckten und dort ihr Leben ließen.
       Noch einige Meter. Ich machte meine Lampe nicht wieder an. Die Nacht veränderte ihr Gesicht. Ich nahm jetzt einen rötlichen Lichthof wahr. Ich dachte an die Visionen der Lichtlosen. Den glühenden Raureif. Das zitternde Leuchtfeuer … Würde mir der Teufel erscheinen?
       Das Leuchten kam aus einem der Gänge. Noch immer ohne die Lampe anzuschalten, schlich ich auf allen vieren hinein. Meine Handteller übermittelten mir eine neue Sinnesempfindung: Der Stein war warm. Braunkohle oder ein anderes Gestein, das die Erinnerung an urzeitliches Magma speicherte. Ich glaubte, mich dem glühenden Kern der Erde zu nähern.
       Eine neue Nische.
       Ein niedriger kreisförmiger Hohlraum von einigen Quadratmetern.
       Hier stand ein Altar, der von Sturmlaternen erleuchtet wurde.
       Aber nicht die Inszenierung faszinierte mich, sondern die Zeichnungen an den Wänden.
       Schlichte Bilder, wie der Vorgeschichte entsprungen.
       Ich ahnte, dass ich mich vor den Skizzen befand, von denen mir Luc erzählt hatte – die Figuren, die Nicolas Soubeyras angeblich vor seinem Tod gezeichnet hatte. Ich wusste jetzt, dass diese Werke von Luc selbst stammten. Sie waren nie in ein Heft gezeichnet worden, sondern an die Wände einer Höhle. Die Skizzen des elfjährigen Luc, der, lebendig eingemauert, Todesängste ausstand und neben dem Leichnam seines Vaters immer weniger Luft bekam.
       Ich näherte mich den Bildern. Die Motive erinnerten mich an die in den Höhlen von Lascaux und Cosquer. Das Kind hatte Filzstifte mit abgestumpften Spitzen benutzt. Rot- und Ockertöne und einige schwarze Linien. Die Farben der ersten Künstler der Menschheitsgeschichte.
       Das Fresko wiederholte die gleiche Szene. Eine Figur aus wenigen Strichen, eine Art Y. Ein Kind. Daneben, liegend, eine weitere Figur. Der Vater. Beide von einer Kuppel überragt, die mit Stalaktiten gespickt war. Die Bilder stellten immer die gleiche Szene dar: Kind, Vater, Gewölbe.
       Das einzige Element, das sich änderte, war die Form der Stalaktiten, die nach und nach länger wurden, sich verdrehten und in Klauen verwandelten. Auf den letzten Zeichnungen tauchte auf der Felswand das Gesicht eines alten Mannes auf, das weiß und rot unterlegt war. Bevor Luc ins Koma fiel, sah er also, wie der Fürst der Finsternis ihn entführte …
       Eine Stimme hinter mir:
       »Hier sind wir gestorben, mein Vater und ich.«

KAPITEL 121
    Ich drehte mich um. Da stand Luc im blauen Overall eines Höhlenforschers. Den gleichen hatte sein Vater auf dem Foto in seinem Arbeitszimmer getragen. Er saß auf dem Boden, von Sturmlaternen umgeben. Unbewaffnet. Unser Kampf fand auf einer Ebene statt, die nichts mit Waffen, Blut und Gewalttätigkeit zu tun hatte.
       Es war der Kampf um die Letzten Dinge.
       Wir beide waren längst tot.
       Tot und begraben.
       »Wie findest du mein Fresko?«, fragte er. »Die Lukaspassion!«
       Seine Stimme war zweideutig. Sarkastisch und verzweifelt. Da stand der zerrissene Jugendliche von Saint-Michel-de-Sèze wieder vor mir. Sensibel und herrschsüchtig, aufgekratzt und gleichgültig.
       »Ich hoffe, du hast begriffen, wo wir sind. Eines Tages wird man sagen, dass diese Grotte für mich die gleiche Bedeutung hatte wie der Mailänder Garten für Augustinus oder Notre-Dame für Claudel. Der Schauplatz einer Bekehrung. In der Tat, das Vorzimmer eines Mysteriums. Diese Nische war nur ein Vorspiel zur wahren Finsternis.« Er deutete mit einem Zeigefinger auf seine Schläfe. »Der Finsternis des Komas, in dem Er mich abgeholt hat.«
       Luc betrachtete das Fresko in meinem Rücken einige Sekunden lang nachdenklich. Dann fuhr er fort:
       »Du musst dir zunächst meine panische Angst während des Abstiegs vorstellen.« Er kicherte kurz höhnisch. »Ich litt an Klaustrophobie. Mein Vater wusste das, und trotzdem hat er mich in diese Höhle mitgenommen. Damit ich ein Mann werde! Kannst du dir meine Panik, meine Verzweiflung ausmalen? Ich war krank davon. Doch die echte Prüfung begann nach dem Einsturz. Als
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