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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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mir klar wurde, dass ich mit dem Leichnam meines Vaters eingemauert war.«
       Es war vollkommen still. Kein Plätschern und kein Rieseln. Ein neues Ökosystem, in dem eine einlullende Wärme, eine merkwürdige Trockenheit herrschte.
       »Komm«, sagte er im Aufstehen. »Lass uns in den großen Saal gehen.«
       Ich folgte ihm auf dem Fuß und duckte mich unter dem niedrigen Gewölbe. Wir betraten eine riesige Grotte. Den Ballsaal. Auf einem natürlichen schmalen Gang reihten sich Lampen aneinander, die die Höhle erhellten. Gewaltige Säulen, die das Gewölbe stützten, traten aus der Finsternis hervor. Gruppen von Stalaktiten hingen von der Decke herab wie Kristalllüster. Die Felswände waren pechschwarz und faltig. Ich hatte das Gefühl, eine Kathedrale des Bösen zu bewundern, die sich vorzüglich für Lucs Kult eignete.
       Wir gingen den schmalen Steg im Fels entlang. Auf vorspringenden Felsen unter uns verrieten Gegenstände die Anwesenheit von Menschen. Ein Zelt, ein Rucksack, ein Gaskocher. Alles, was man für einen längeren Aufenthalt in der Höhle benötigte. Ganz offensichtlich kehrte Luc hin und wieder an den Ort zurück, wo alles begonnen hatte.
       »Setz dich. Die Aussicht von hier ist herrlich.«
       Ich setzte mich auf die Brüstung und vermied es, den Abgrund zu meinen Füßen zu betrachten.
       »Spürst du die Wärme? Die Braunkohle, Mat. Der Atem der Erde. Glaub mir, es hat nicht lange gedauert, bis der Körper meines Vaters zu verwesen begann. Sein aufgedunsener, zerplatzter Leib … Er hat mich nie mehr verlassen. Als meine Lampe erlosch, blieben mir die Gerüche, die Gase, der Tod. Ich war erleichtert, als ich den Verstand verlor. Hier, in der Tiefe des Unbewussten, fand meine Initiation statt.«
       »Was hast du gesehen?«
       »Du ahnst es allmählich, oder?«
       »Das, was du unter Hypnose erzählt hast?«
       »Ja, ich habe mich von meinen wahren Erinnerungen inspirieren lassen.«
       »Wieso ausgerechnet ein Greis mit leuchtenden Haaren?«
       »Wir sind am Ende des Weges angelangt, Mat, und du hast noch immer nichts begriffen.«
       »Beantworte meine Frage. Wer ist dieser alte Mann?«
       »Es gibt keine Antwort. Man muss sich vor einem Mysterium verneigen. Denk an deinen Glauben. Könntest du ihn rational beschreiben? Könntest du ihn erklären? Und doch hast du nie an der Existenz Gottes gezweifelt.«
       »Und der Hölleneid?«
       Luc lächelte.
       »Nicht übersetzbar, weder in Worten noch in Gedanken. Du stellst dir wahrscheinlich einen Pakt, einen Vertrag vor, all diesen Hokuspokus wie bei Faust. Aber der Hölleneid ist eine Erfahrung, die sich nicht in Worte fassen lässt. Eine Kraft, die dich so sehr ausfüllt, dass sie das Einzige ist, was dich am Leben hält. Als mich Satan gerettet hat, hat er nicht den alten Luc gerettet. Er hat einen neuen Menschen hervorgebracht.«
       Ich meinte spöttisch:
       »Du bist also nur ein Lichtloser unter anderen?«
       »Viel mehr als das, und das weißt du. Ein Bote. Ein Gesandter. Ich schleiche mich in die Seele der Menschen und verbreite Sein Wort. Ich gieße den Geist des Teufels in die Menschen ein. Ich baue meine Legion auf!«
       Fragen stürzten auf mich ein. Ich wollte die ganze Geschichte wissen. Doch Luc kam mir zuvor, indem er in amüsiertem Tonfall fragte:
       »Erinnerst du dich an Kurzef?«
       »Unseren Geschichtslehrer?«
       »Er sagte immer: ›Die ersten Schlachten schlägt man für sein Heimatland oder die Freiheit. Die letzten für die Legende.‹ Das ist unsere letzte Schlacht, Mat. Die Schlacht unserer schwarzen Legende. Wenn du die Wahrheit begreifst, wirst du erkennen, dass ich dich geschaffen habe. Ich bin dein einziger Lebensinhalt.«
       »Erzähl mir alles, und lass mich selbst urteilen.«
       Luc lehnte seinen Kopf zurück.
       In teilnahmslosem, zerstreutem Ton legte er seine Odyssee dar.
April 1978
    Als das Kind aus dem Koma erwacht, ist Moritz Beltreïn bei ihm. Der Arzt ist völlig aufgewühlt. Es ist sein persönlicher Triumph, dass der elfjährige Luc, nachdem er bereits klinisch tot war, wieder zum Leben erwacht. Es ist seine Tollwutimpfung, sein Penizillin, seine Dreiertherapie. Die Heldentat, die ihm einen Eintrag in den Annalen der Medizingeschichte sichert.
       Zwei Jahre lang beherbergt Beltreïn Luc in seinem Haus in Lausanne, während er gleichzeitig der trunksüchtigen Mutter regelmäßig Geld
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