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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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wohl witzig, wie?«
       »Nein.«
       »Dein Ton ist sarkastisch. Deine ganze Person ist sarkastisch.«
       »Überhaupt nicht.«
       »Du merkst es schon gar nicht mehr. Immer diese Distanz, diese Arroganz …«
       »Wieso willst du zur Beichte gehen? Willst du nicht darüber sprechen?«
       »Mit dir schon gar nicht. Kannst du mir jemanden empfehlen? Jemanden, dem ich mich anvertrauen könnte. Jemand, der Antworten hätte …«
       Meine Mutter steckte mitten in einer Sinnkrise. Dies war offensichtlich ein besonderer Tag. Sie flüsterte, während es wieder anfing zu regnen:
       »Es ist wohl das Alter. Keine Ahnung. Aber ich möchte eine … höhere Bewusstseinsstufe erreichen.«
       Ich zückte einen Kuli und riss ein Blatt aus meinem Taschenkalender. Ohne nachzudenken, schrieb ich Namen und Anschrift eines Priesters darauf, den ich häufig besuchte. Geistliche sind nicht wie Psychologen: Man kann sie innerhalb der Familie weiterempfehlen. Ich hielt ihr den Zettel mit den Daten hin.
       »Danke.«
       Sie stand auf, eine Parfumwolke aufwirbelnd.
       »Möchtest du nicht reinkommen?«
       »Ich bin schon zu spät dran. Ich ruf dich an.«
       Sie verschwand auf der Treppe. Die Gestalt im Wildledermantel fügte sich harmonisch in die glänzenden Efeublätter und den weißen Anstrich. Sie besaß die gleiche Frische, die gleiche Klarheit. Auf einmal fühlte ich mich alt. Ich drehte mich um und ging in den Flur hinein, an dessen Ende meine smaragdgrüne Tür leuchtete.

KAPITEL 5
    Nach vier Jahren hatte ich einen Teil der Umzugskartons noch immer nicht ausgepackt. Kisten mit Büchern und CDs stapelten sich in der Diele und gehörten mittlerweile zum Dekor. Ich legte meine Pistole darauf, ließ meinen Regenmantel fallen und zog meine Schuhe aus – meine unvermeidlichen Sebago-Mokassins, denen ich seit meiner Jugend treu war.
       Ich machte Licht im Bad und betrachtete unwillkürlich mein Spiegelbild. Ein vertrauter Anblick: ein abgewetzter dunkler Markenanzug, helles Hemd, eine dunkelgraue Krawatte, ebenfalls verschlissen. Ich sah eher aus wie ein Winkeladvokat als wie ein Polizist. Ein Advokat auf Abwegen, der allzu lange Umgang mit Ganoven gepflegt hatte.
       Ich näherte mich dem Spiegel. Mein Gesicht erinnerte an eine sturmzerzauste Heide, an einen vom Wind geschüttelten Wald – an eine Turner’sche Landschaft. Der Kopf eines Besessenen mit tief liegenden hellen Augen und braunen Locken. Ich hielt mein Gesicht in den Wasserstrahl und dachte an das Koma von Luc und den Besuch meiner Mutter.
       In der Küche schenkte ich mir eine Tasse grünen Tee ein – die Thermoskanne stand seit dem Morgen bereit. Dann stellte ich eine Schale Reis in die Mikrowelle; am Wochenende kochte ich mir immer einen Vorrat für die ganze Woche. Mein Lebensstil war von zenbuddhistischer Askese geprägt. Ich mochte keine organischen Gerüche – weder Fleisch noch Obst, noch Braten. Meine ganze Wohnung war von dem Duft von Weihrauch erfüllt, den ich ständig verbrannte. Aber vor allem konnte ich den Reis mit Holzstäbchen essen. Das klirrende Geräusch von Metallbesteck und den Kontakt mit ihm ertrug ich nicht. Aus diesem Grund speiste ich nicht gern außer Haus.
       An diesem Abend hatte ich keinen Appetit. Nach zwei Bissen warf ich den Inhalt der Schale in den Mülleimer und goss mir aus einer zweiten Thermoskanne einen Kaffee ein.
       Meine Wohnung bestand aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer und einem Arbeitszimmer. Das klassische Triptychon des Pariser Singles. Alles war weiß, außer den Böden, die aus schwarzem Parkett bestanden, und der Wohnzimmerdecke mit den sichtbaren Balken. Ohne Licht zu machen, ging ich direkt ins Schlafzimmer, streckte mich auf dem Bett aus und überließ mich meinen Gedanken.
       Luc, natürlich.
       Doch statt fruchtlos über seinen Zustand oder das Motiv seiner Tat zu grübeln, entschied ich mich für eine Erinnerung. Eine jener Erinnerungen, in denen sich einer der seltsamsten Charakterzüge meines Freundes widerspiegelte.
       Sein starkes Interesse an der Figur des Teufels.
Oktober 1989
    Zweiundzwanzig Jahre, Institut Catholique de Paris.
       Nach vierjährigem Studium an der Sorbonne hatte ich meine Magisterarbeit über »Die Überwindung des Manichäismus bei Augustinus« fertiggestellt und wollte mit dem gleichen Schwung weitermachen. Ich war unterwegs zum Institut, wo ich mich einschreiben wollte, um zu promovieren. Das
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