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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Steckbrief. An der Magnettafel keine Tatortfotos. Auf dem Boden keine einzige liegen gebliebene Akte. Wenn Luc wirklich hätte Schluss machen wollen, wäre er nicht anders vorgegangen. Der Hang zur Verschwiegenheit war einer seiner hervorstechenden Charakterzüge.
       Einige Sekunden verharrte ich reglos und ließ den Raum auf mich wirken. Lucs Büro war nicht größer als meines, hatte jedoch ein Fenster. Ich ging um den Schreibtisch herum – ein Möbelstück aus den dreißiger Jahren, das Luc in einem Trödelladen gekauft hatte – und näherte mich der Korktafel hinter dem Sessel. Dort hingen einige Fotos. Porträts des achtjährigen Camille und der sechsjährigen Amandine. Im Halbdunkel schwebte ihr Lächeln auf dem Glanzpapier wie auf der Oberfläche eines Sees. Auch Kinderzeichnungen waren zu sehen – von Feen, von Häusern, in denen eine kleine Familie wohnte, von »Papa« der, mit einer übergroßen Pistole bewaffnet, Jagd auf »Drogenhändler« machte. Ich legte meine Finger auf die Aufnahmen und flüsterte: »Was hast du getan? Verdammt, was hast du nur getan …?«
       Ich öffnete sämtliche Schubladen. In der ersten Büroartikel, Handschellen, eine Bibel. In der zweiten und dritten Schublade Fälle aus jüngster Zeit – erledigte Fälle. Tadellose Berichte, minutiöse Dienstanweisungen. Noch nie hatte Luc so viel Ordnungssinn bei der Arbeit gezeigt. Eine echte Inszenierung. Das Büro eines Klassenbesten.
       Ich blieb vor dem Computer stehen. Der PC würde wohl kaum den Schlüssel zur Lösung des Falles enthalten, aber ich wollte auf Nummer Sicher gehen. Ich drückte automatisch die Leertaste. Der Bildschirm leuchtete auf. Ich griff nach der Maus und klickte auf eines der Icons. Eingabe eines Passworts. Aufs Geratewohl gab ich das Geburtsdatum Lucs ein. Fehlermeldung.
       Die Vornamen Camille und Amandine. Wieder Fehlermeldungen. Ich wollte eine vierte Möglichkeit ausprobieren, als das Licht anging.
       »Was machst du denn da?«
       In der Tür stand Patrick Doucet, genannt »Doudou«, die Nummer zwei in Lucs Team. Er trat einen Schritt vor und fragte noch einmal:
       »Was, verdammt nochmal, machst du in diesem Büro?«
       Er zischte diese Worte zwischen zusammengepressten Lippen hervor. Mir verschlug es die Stimme. Doudou war der gefährlichste des ganzen Teams. Ein Hitzkopf, der sich mit Amphetaminen zudröhnte, seine ersten Sporen beim Sondereinsatzkommando verdient hatte, und der nichts lieber tat, als Verbrecher auf frischer Tat zu ertappen. Er war an die Dreißig, hatte das Gesicht eines gefallenen Engels und die breiten Schultern eines Bodybuilders, die in einem abgewetzten Lederblouson steckten. An den Seiten trug er die Haare kurz, im Nacken lang. Eigenwilliges Detail: An der rechten Schläfe hatte er sich drei Krallen ausrasieren lassen.
       Doudou zeigte auf den beleuchteten Bildschirm.
       »Immer in der Scheiße rumwühlen, wie?«
       »Wieso Scheiße?«
       Er antwortete nicht. Er zuckte nur herausfordernd mit den Schultern. Sein Blouson ging auf, und zum Vorschein kam der Kolben einer Glock 21 Kaliber .45, der regulären Pistole der Gruppe.
       »Du hast ’ne Fahne!«, sagte ich.
       Doudou kam näher. Mit einem flauen Gefühl in der Magengrube wich ich zurück.
       »Was ist schon dabei, mal einen zu heben?«
       Meine Vermutung war richtig gewesen. Lucs Männer waren losgezogen, um sich einen hinter die Binde zu gießen. Wenn jetzt die anderen auftauchten, würden sie mich vielleicht lynchen.
       »Was suchst du hier?«, fauchte er mich an.
       »Ich will herausfinden, wieso es mit Luc so weit kommen konnte.«
       »Schau dir nur dein Leben an. Dann weißt du’s!«
       »Luc würde nie Selbstmord begehen, egal, wie schlimm er dran wäre. Das Leben ist ein Geschenk Gottes und …«
       »Verschon mich mit deinen Predigten.«
       Doudou ließ mich nicht aus den Augen. Nur der Schreibtisch trennte uns. Mir fiel auf, dass er leicht taumelte. Diese Beobachtung beruhigte mich. Stockbesoffen. Ich beschloss, kein Blatt vor den Mund zu nehmen:
       »Wie war er in den letzten Wochen drauf?«
       »Was geht dich das an?«
       »Woran hat er gearbeitet?«
       Doudou fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Ich schlich an der Wand entlang und wich vor ihm zurück:
       »Irgendetwas muss vorgefallen sein …«, fuhr ich fort, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Vielleicht eine Ermittlung, die ihn am Boden zerstört
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