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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Bergung Lucs geleitet hatte. Der Mann bestätigte Svendsens Angaben. Der mit Ballast beschwerte Körper, die Einlieferung in der Notaufnahme, die Reanimation.
       Ich legte auf, tastete meine Sakkotaschen ab, fand meine Zigaretten. Ich zog eine heraus, nahm mein Feuerzeug und genoss, während ich nachdachte, das Ritual in allen Einzelheiten. Das behagliche Rascheln der Schachtel; der orientalische Duft, der ihr entströmte, vermischt mit dem Benzingeruch des Zippo; die Tabakkrümel, die an meinen Fingern klebten, und schließlich der heiße Rauch, den ich tief einsog …
       18 Uhr. Ich begann endlich damit, die Dokumente zu entziffern. Die Haftnotizen. Erste Zeichen der Solidarität: »Mit Dir. Franck«, »Noch ist nicht alles verloren. Gilles«, »Jetzt gilt es, ruhiges Blut zu bewahren! Philippe«. Ich löste die Zettel ab und legte sie beiseite.
       Dann erst stürzte ich mich in die Arbeit und machte eine Bestandsaufnahme der positiven und negativen Punkte des Tages. Foucault informierte mich, dass die Kriminalpolizeidirektion von Louis Blanc uns die Akte über eine mit Schnitten übersäte Leiche nicht herausgeben wollte, die in der Nähe der Métro-Station Stalingrad gefunden worden war. Dieser Mord konnte etwas mit einer Abrechnung unter Dealern in La Villette zu tun haben, in der wir seit einem Monat ermittelten. Die Weigerung erstaunte mich nicht weiter. Es ging immer um die alte Rivalität zwischen Kriminalpolizeidirektion und Mordkommission. Jeder für sich, und die Leichen werden eifersüchtig gehütet.
       Die folgende Nachricht war konstruktiver. Vor fünfzehn Tagen hatte mich ein Kollege aus meinem Jahrgang, der bei der Kriminalpolizeidirektion Cergy-Pontoise arbeitete, in einem Mordfall um Rat gefragt: Eine neunundfünfzigjährige Kosmetikerin war ermordet auf ihrem Parkplatz aufgefunden worden. Sechzehn Schnitte mit einem Rasiermesser. Kein Raubüberfall, keine Vergewaltigung. Kein Zeuge. Die Ermittler tippten zunächst auf ein Verbrechen aus Leidenschaft, dann auf einen perversen, psychopathischen Täter – aber beide Ansätze verliefen im Sand.
       Als ich die Fotos der Leiche betrachtete, fielen mir mehrere Details auf. Die Angriffswinkel des Rasiermessers verrieten, dass der Mörder die gleiche Größe hatte wie sein Opfer, das eher klein war. Die Waffe war ungewöhnlich: ein kurzer, altmodischer Säbel, den man nur noch in Trödelläden fand und der auch von einer Frau benutzt worden sein könnte. Bei Abrechnungen zwischen Prostituierten beispielsweise kam diese Waffe zum Einsatz – eine Waffe, die die Gegnerin entstellte –, wohingegen Männer eher Messer einsetzten und dem anderen Stichverletzungen im Bauchraum zuzufügen versuchten.
       Vor allem aber konzentrierten sich die Verletzungen aufs Gesicht, die Brust und den Unterleib. Der Mörder hatte sich die Körperregionen ausgesucht, in denen sich das Geschlecht des Opfers ausdrückte. Er hatte vornehmlich auf das Gesicht gezielt und auf die Nase, die Lippen und die Augen eingestochen. Durch die Entstellung des Opfers wollte sich der Mörder oder die Mörderin womöglich selbst treffen, indem er sein Spiegelbild zerstörte. Auch das Fehlen von Abwehrverletzungen, die durch Kampf- und Schutzbewegungen hervorgerufen werden, war mir aufgefallen: Die Kosmetikerin hegte keinen Argwohn. Sie kannte den Angreifer. Ich hatte meinen Kollegen von der KPD Cergy gefragt, ob die Tote eine Tochter oder Schwester habe. Mein Jahrgangskumpel hatte mir versprochen, die Angehörigen erneut zu vernehmen. Auf der Haftnotiz stand lediglich: »Die Tochter hat gestanden!«
       Ich legte die Telefonrechnungen und die Kontoauszüge beiseite, weil ich zu zerstreut war, um sie gründlich auszuwerten. Ich wandte mich einem anderen Aktenbündel zu, das frisch gedruckt worden war: eine Tatbestandsaufnahme von einem Tatort, den ich am Vortag verpasst hatte. Der dritte Mann in meiner Gruppe, Meyer, war der Pedant des Teams, sein »Schriftsteller«. Als studierter Philologe verwandte er große Sorgfalt auf die Abfassung dieser Protokolle – und verstand es, die Tatorte von Morden plastisch zu schildern.
       Ich war sofort in der Geschichte drin. Le Perreux vor zwei Tagen. Um die Mittagszeit hatten ein oder mehrere Angreifer ein Schmuckgeschäft überfallen, bevor die Geschäftsführerin Alarm auslösen konnte. Sie hatten die Kasse, den Schmuck – und die Frau – mitgenommen. Am nächsten Morgen war die Juwelierin tot in einem Waldstück am Ufer
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