Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen
Autoren: Jean Raspail
Vom Netzwerk:
bestätigt, daß der Präsident der Republik um Mitternacht einen feierlichen Aufruf an die Nation richten wird.«
    Diejenigen, die französisch verstanden, stellten die Radios leiser ein und übersetzten ihren dicht zusammengedrückten Landsleuten den Bericht. Nie zuvor war der Keller so voll wie an diesem Abend. Hier wohnten die schwarzen Arbeiter vom Reinigungsdienst der nördlichen Pariser Bezirke. Auf zweistöckigen Betten saßen je acht Mann Kopf an Kopf mit herunterhängenden Beinen. Bei dieser Massierung wurde ihnen zum ersten Mal ihre Stärke bewußt. Keiner wagte einen Kommentar, auch nicht die paar Weißen in dieser schwarzen Menge, unter der sich ein Pfarrer der Straßenkehrer und ein harter Verfechter des Klassenkampfes befanden. Jeder strengte sein Gehirn an. Es ist nicht leicht, sich die schwindelerregenden Ausmaße eines so unglaublichen Ereignisses vorzustellen.
    »Wenn sie ohne Bruch landen«, sagte einer, den sie »Doyen« nannten, weil er seit langem in Frankreich lebte, »wenn sie landen, kommt Ihr dann auch aus Euren Rattenlöchern heraus?«
    Aus dem Dunkel einer Bettstelle fragte eine tiefe Stimme: »Ist das Rattenvolk zahlreich?«
    »Das Rattenvolk«, sagte der Straßenkehrerpfarrer, »wird am Tageslicht wie ein riesiger Wald sein, der mit einem Schlag in der Nacht entstanden ist.« Dies verstanden sie besser, und ein beifälliges Murmeln ging durch die Reihen. Dann warteten sie wieder.
    In dieser Nacht hörten auch die Straßenkehrer und Kanalarbeiter aller Depots von Groß-Paris zu, ebenso das Wartepersonal und die Nachttopfleererinnen der Krankenhäuser, die Geschirrspüler der Volksküchen, die Arbeiter von Billancourt, Javel, Saint-Denis und sonstwo, die lahmen Arbeiter der Gas– und Elektrizitätswerke, die Verdammten der giftigen chemischen Industrie, die Maschinenwärter, die Höhlenbewohner der Metro, die stinkigen Arbeiter der Kloakendienste und viele andere. Sie alle arbeiteten in Hunderten von wichtigen Berufen, die für die weichen Hände der Franzosen nicht mehr passend waren. Es waren insgesamt einige hunderttausend Schwarze und Araber, die merkwürdigerweise den Augen der Pariser entgingen, zumal niemand mehr ihre wahre Zahl kannte, seit die Behörde die Statistik fälschte aus Furcht, das Gleichgewicht der nachtwandelnden Großstadt zu stören, wenn sie brutal aufgeschreckt wird. Paris war nicht New York. Man wartete, wie man lebte, unbekümmert um alles.
    Nur bei den Arabern nahm die Aussicht auf den Zusammenprall an der Südküste Frankreichs gelegentlich herausfordernde Formen an. Aber abgesehen von dunklen Wünschen oder sachten Anläufen, wie etwa dem Versuch, einer Französin ein Lächeln zu entlocken, blieb es beim Traum, sie zu vergewaltigen. Noch wollte man einfach glücklich in einem öffentlichen Park Spazierengehen und den Kindern beim Spiel zuschauen. Nur die Fanatischsten dachten an einen neuen heiligen Krieg. Ein gewisser Mohammed, »einäugiger Kadi« genannt, schien sich in einer Diktatorrolle zu üben. Seit elf Uhr abends gab er über geheime Boten den Verantwortlichen des Stadtviertels seine Befehle.
    »Die Zeit der Waffen ist vorbei. Jeder werfe seinen Rasierapparat weg und zerbreche sein Rasiermesser. Der erste, der Blut vergießt, wird auf meinen Befehl entmannt.«
    Er war Araber, der mit den Arabern sprechen konnte. Alle gehorchten ihm, mit Ausnahme seiner eigenen Frau, einer französischen Lehrerin. Der Rasierapparat des »Kadi« verschwand sofort, versteckt am rechten Oberschenkel im Innern ihres Strumpfes. Elise kannte die Verachtung der Leute. In den zehn Jahren ihrer Ehe war ihr keine Feinheit dieser Verachtung entgangen. Sie träumte vom reinigenden Blut und war dabei nicht allein. Unter den etwa tausend Französinnen, die mit Ghetto-Arabern verheiratet waren, fingen viele an, den Preis für diese Verachtung auszurechnen.
    Andere wiederum überlegten kühl, was sich am nächsten Tag abspielen könnte. Sie hatten ihre Fensterläden geschlossen, die Türen verbarrikadiert und die Vorhänge in ihren Wohnungen und Büros zusammengezogen. Dahinter scharten sie sich gruppenweise um ihre Radios und warteten gespannt auf Nachrichten und auf die Ansprache des Präsidenten der Republik. Es waren die Diplomaten der Dritten Welt und die afrikanischen, arabischen und asiatischen Studenten. So wie das Ereignis sie plötzlich überfiel, waren sie, die Reichen, die Führer, die Elite, die privilegierten Kämpfer fassungslos am Rand des schrecklichen Geschehens.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher