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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Autoren: John Boyne
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deutete auf das beeindruckende Bauwerk, das sich von der Eremitage bis hinüber zur Wassiljewinsel erstreckte. »Sie haben sie fertiggestellt.«
    Ich lachte laut auf. »Ja, endlich«, sagte ich. »All die Jahre, wo das Ganze nur ein mitleiderregender Torso war. Zuerst konnten sie die Brücke nicht vollenden, weil sie sonst deine Nachtruhe gestört hätten, und dann …«
    »Der Krieg«, sagte Soja.
    »Ja, der Krieg.«
    Wir hielten an und betrachteten die Brücke mit einigem Stolz. Es war schön, dass sie schließlich doch noch fertig geworden war. »Entschuldigung«, sagte eine Stimme zu meiner Rechten, und als wir uns umdrehten, erblickten wir einen älteren Mann, der einen schweren Mantel und einen Schal trug. »Aber haben Sie vielleicht Feuer für mich?«
    »Tut mir leid«, sagte ich, wobei ich einen Blick auf die unangezündete Zigarette warf, die er mir entgegenhielt, »aber ich rauche nicht.«
    »Hier«, sagte Soja, nachdem sie in ihre Tasche gegriffen und eine Schachtel Streichhölzer hervorgekramt hatte; sie rauchte ebenfalls nicht, und es überraschte mich, dass sie so etwas bei sich hatte, doch der Inhalt der Handtasche meiner Frau war mir schon immer ein unergründliches Rätsel.
    »Danke«, sagte der Mann und nahm sich die Schachtel. Als ich ihm über die Schulter sah, bemerkte ich, wie seine Begleiterin – seine Frau, nahm ich an – Soja anstarrte. Die beiden waren etwa im gleichen Alter, aber die Jahre hatten ihrer Schönheit genauso wenig anhaben können wie der meiner Frau. Tatsächlich wurden ihre feinen Gesichtszüge lediglich von einer Narbe auf ihrer linken Wange beeinträchtigt, die ein Stück unterhalb des Backenknochens endete. Der Mann, ein gut aussehender Typ mit dichtem weißem Haar, zündete seine Zigarette an, lächelte und bedankte sich bei uns.
    »Na, dann noch einen schönen Abend«, sagte er und nickte.
    »Danke, gleichfalls«, erwiderte ich.
    Er wandte sich zum Gehen und fasste nach der Hand seiner Frau, doch diese schaute Soja nun mit einem heiteren Gesichtsausdruck an. Keiner von uns sagte etwas, doch schließlich verneigte sich die Frau vor ihr.
    »Darf ich um Euren Segen bitten?«, fragte sie.
    »Meinen Segen?«, fragte Soja, wobei ihr die Worte beinahe im Hals stecken blieben.
    »Bitte, Euer Hoheit.«
    »Nun, hier haben Sie ihn«, sagte Soja. »Und was immer er wert ist, er möge Ihnen Frieden bringen.«
    Es ist bereits hell, mitten am Vormittag, und das Wohnzimmer wirkt kalt und abweisend, als ich in meine Wohnung zurückkehre. Ich bleibe für einen Moment stehen, blicke flüchtig auf den Tisch, den Herd, die Sessel, das Schlafzimmer, auf diese kleine Wohnung, in der meine Frau und ich den Großteil unseres Lebens verbracht haben. Ich zögere. Ich bin mir nicht sicher, ob ich weitergehen kann.
    »Du musst nicht hierher zurück«, sagt Michael, der hinter mir durch die Tür tritt und nun ebenfalls zögert. »Es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn du heute zu mir und Dad kommst, meinst du nicht auch?«
    »Ja, das werde ich«, sage ich, wobei ich den Kopf schüttle und ein oder zwei Schritte in den Raum mache. »Später. Am Abend vielleicht. Aber jetzt noch nicht, wenn du nichts dagegen hast. Ich denke, ich möchte hier sein. Es ist schließlich mein Zuhause. Wenn ich jetzt nicht hineingehe, werde ich es nie tun.«
    Er nickt und schließt die Tür, und dann begeben wir uns beide in die Mitte des Raums, ziehen unsere Mäntel aus und legen sie auf einem Sessel ab.
    »Tee?«, fragt er und füllt bereits den Wasserkessel. Ich lächle und nicke. Michael ist so englisch.
    Er lehnt sich gegen die Spüle, während er darauf wartet, dass das Wasser zu kochen beginnt, und ich setze mich in meinen Sessel und lächle ihn an. Er trägt ein T-Shirt mit einem witzigen Aufdruck an der Vorderseite; ich mag das – er ist gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, sich etwas förmlicher anzuziehen.
    »Danke, übrigens«, sage ich zu ihm.
    »Wofür?«
    »Dass du letzte Nacht ins Krankenhaus gekommen bist. Du und dein Vater. Ich weiß nicht, wie ich diese Nacht ohne euch beide durchgestanden hätte.«
    Er zuckt die Achseln, und ich fürchte, dass er gleich wieder zu weinen beginnt; im Verlauf der Nacht ist er drei- oder viermal in Tränen ausgebrochen. Einmal, als ich ihm mitteilte, dass seine Großmutter gestorben sei. Einmal, als er hereinkam, um einen letzten Blick auf sie zu werfen. Einmal, als ich ihn in meine Arme nahm.
    Er nickt und wischt sich die Augen trocken. Dann hängt er Teebeutel in
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