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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür
Autoren: Gunnar Staalesen
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mit Teddy Lund, wenn er wieder aufwachte.
    Die Tür war abgeschlossen.
    Es gab nur eine Möglichkeit: das Fenster.
    Ich ging zum Fenster, machte die Fensterhaken los und stieß es auf. Es waren vier Etagen bis zu den runden Autodächern. Aber dies war das Dachgeschoß, und ich befand mich unter dem einen der beiden Giebel, die ich von unten gesehen hatte. Der andere mußte zur Küche gehören. Dieser Giebel befand sich zwei, drei Meter rechts von mir, und zwischen den beiden Giebeln war eine zwei, drei Meter breite Fläche mit Dachziegeln. Unten vor der Dachrinne war ein zehn Zentimeter hohes Schutzgitter.
    Es war keine Zeit, lange nachzudenken.
    Ich schwang mich aus dem Fenster und setzte die Füße auf die Kante des kleinen Schutzgitters. Es war recht zierlich und litt an Rostausschlag. Es knarrte schwach, als ich mein Gewicht darauf stützte, und ich hielt mich krampfhaft am Fensterbrett fest.
    Ich sah zu dem anderen Giebel hinüber. Zwei, drei Meter. So nah, daß ich hätte hinüberspringen können, mit einen ordentlichen Anlauf. Aber nicht nah genug, als daß ich aus meiner Position hinüberspringen konnte. Und nicht so nah, daß es nicht auch zu weit sein konnte. Aber hinter mir war Teddy Lund, und vor mir lag ein Auftrag. Ich hielt mich mit einer Hand am Fensterbrett fest und streckte ein Bein aus, so weit ich konnte. Ich ließ den Oberkörper folgen, langsam, langsam. Der Regen in der Luft hatte die Dachziegel glatt und rutschig gemacht, und sie waren am unteren Rand mit einer Art grauschwarzem Moos bedeckt. Es war wie über eine frischgebohnerte Tanzfläche zu balancieren.
    Ich stieß mich mit den Füßen ab und warf mich nach vorn, gleichzeitig ließ ich das Fensterbrett los. Ein Fuß rutschte auf einem Dachziegel aus.
    Ich hatte das Gefühl, in einer unendlichen Leere zu hängen, und alles war still. Ich war nicht in Bewegung, und ich hörte das Verkehrsrauschen unter mir nicht. Ich hing nur in der Luft irgendwo in der Welt, aus welchem Grund auch immer. Dann kamen meine Sinne wieder zu sich: Erst hörte ich das Verkehrsrauschen, wie ein ohrenbetäubendes Kreischkonzert – und dann kamen die Bewegungen, wie bei Peter Pan, der sich elegant um Big Ben herumschwingt.
    Teils flog ich, teils stieß ich mich mit den Füßen die zwei, drei Meter nach vorn und umklammerte den anderen Giebel, wie ich eine Jugendliebe umklammert hätte, wie ich Rebecca umklammert hätte.
    Dann stand ich still und zählte die Sekunden. Schulter und Kinn schmerzten teuflisch, und aus meiner gesprungenen Lippe floß immer noch Blut. Ich klammerte mich an den Giebel, und mir wurde schwindelig. Aber die Sekunden vergingen, und ich hörte nicht das Geräusch meines Körpers, der unten auf der Straße aufschlug. Ich atmete auf.
    Ich trat die Scheibe des Küchenfensters ein und schwang mich hinein. Ich drehte den Kaltwasserhahn auf und hielt den Kopf darunter. Ich schrubbte mir ordentlich das Gesicht unter dem kalten Wasser und trocknete mich mit dem Jackenärmel ab.
    Mit einem Taschentuch an der Lippe und einem noch tropfnassen Gesicht verließ ich die Wohnung. Ich hatte es eilig. Ich hatte immer noch einen Job zu erledigen – hoffte ich. Vielleicht war es schon zu spät.

46
    Ich fuhr mit 70 durch die wenigen Straßen des Zentrums, die mich vom Büro des Anwalts William Moberg trennten. Ich parkte so haarsträubend ordnungswidrig, daß es fast weh tat. Ich hatte keine Zeit, auf den Fahrstuhl zu warten, sondern nahm zwei Stufen auf einmal und lief die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort blieb ich atemlos und mit abstehenden Ohren vor der Tür zu seinem Vorzimmer stehen. Von drinnen hörte man den normalen Pulsschlag eines jeden Büros: das gleichmäßige Klappern einer Schreibmaschine.
    Ich öffnete die Tür und ging hinein.
    Hilde Varde hielt im Schreiben inne, als ich hereinkam. Ihr Gesicht bekam einen erschrockenen Ausdruck, und sie stand vom Stuhl auf. »Varg! Was ist denn passiert – mit …« Sie ließ die eine Hand leicht vor meinem Gesicht flattern.
    »Jemand hat mich zum Frühstück eingeladen. Es gab meine eigene Oberlippe.«
    Sie sah aus, als könne sie sich vorstellen, mich zu trösten, aber wir erinnerten uns beide an die anstrengende Szene am Frühstückstisch. Und ich hatte keine Zeit, mich trösten zu lassen. Ich sagte so leise ich konnte: »Ist Moberg da?«
    Sie nickte.
    »Allein?«
    Die Antwort – »Mm ja« – sagte mir, daß er das nicht war.
    Ich sagte: »Zusammen mit deiner Vorgängerin – Frau Kvam?«
    Ihre
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