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Das Haus der Tänzerin

Das Haus der Tänzerin

Titel: Das Haus der Tänzerin
Autoren: Kate Lord Brown
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ich heranwuchs, war er ein Gott für mich.« Jordi wandte sich zu ihr. »Du solltest ihn sehen. Ja, jetzt ist er kahl, und sein Bart und seine Brusthaare sind grau, aber wenn er jeden Tag nach der Siesta hinunter zum See geht, um zu schwimmen, und seinen rosa Bademantel ablegt, dann hat das noch etwas von der Arena, vom Beifall der Zuschauermenge …« Er beugte sich näher zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem Marco und ich ihm hinterherspioniert haben. Er vögelte die Frau des Postmeisters auf der Glastheke, er hielt den Kopf gesenkt wie ein Stier, die Hose hing ihm um die Knöchel. Seine Hände hoben sich dunkel von ihren Orangenhautschenkeln ab …«
    Rosa kicherte. »Du nimmst mich auf den Arm!«
    »Nein! Warte, bis du ihn am See siehst. Vicente steht so da …« Jordi reckte die Brust vor, stellte sich breitbeinig hin, legte die Hände auf die Hüften und blickte langsam von links nach rechts. »Alle Frauen beten ihn an. Er fasziniert sie mit seinen Geschichten von den toros . Wenn er seinen Bademantel fallen lässt wie ein Seidencape …« Jordi tat so, als würde er es wegschleudern. »Wenn er dann Luft holt wie ein Stier, dann ist er immer noch Vicente der Große.«
    »Das stimmt«, sagte Marco. »Er hatte die Hälfte aller Frauen im Dorf.«
    »Warum hat ihn noch kein wütender Ehemann erschossen?«, fragte Rosa.
    »Die Männer haben entweder Angst vor ihm, oder sie bewundern ihn.« Marco nahm einen Schluck. »Ich glaube, das Mal von Vicentes goldenen Schneidezähnen auf dem Körper einer Frau ist für manche Männer wie eine Auszeichnung!« Während die alten Freunde Geschichten über Jordis älteren Bruder austauschten, verzog Rosa die Stirn und widmete sich wieder den Gesprächen um sie herum.
    »Zumindest werden sie jetzt nicht vom Osten her Richtung Madrid vorrücken«, sagte ein Soldat. Rosa dachte an den Westen, an den Lärm der Schlacht. Ihr rauschte das Blut noch in den Ohren, ein schrilles Pfeifen wie ein Nachhall der Explosionen.
    »Wir werden sie an den anderen Fronten aufhalten, und die Straße nach Valencia ist frei.«
    »Wusstest du, dass sie die Gemälde aus dem Prado auslagern?«
    »Hast du gehört, was die Rechten behaupten? Die Roten vergewaltigen Nonnen …«
    »Und was ist mit General Queipo de Llanos Radiomeldungen aus Sevilla? Hast du nicht gehört, dass er seinen Truppen die Frauen von Madrid als Belohnung angeboten hat, wenn sie die Stadt plündern?«
    Rosas Blick fiel auf das polierte Holz der Bar, während sich die Gespräche vermischten.
    »Queipo de Llano sagt, für jeden Mann, den wir töten, tötet er mindestens zehn.«
    Jordi wirbelte herum, um das Gespräch zu unterbrechen. »Deshalb können wir sie nicht gewinnen lassen, compañero . Ja, es gibt Gräueltaten auf beiden Seiten – immerhin herrscht Krieg –, aber Franco wird halb Spanien zerstören, wenn er muss. Sie werfen ganze Dörfer Felswände hinunter.«
    »Angeblich organisieren die Falangisten Pferdejagden auf Bauern«, rief jemand zu Jordi hinüber.
    »Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte er. »Ich höre ständig Berichte darüber, dass diese Faschisten die Städte ›aufräumen‹, nachdem die Truppen durchgezogen sind, und mit ihren Freundinnen in den Autos ihrer Eltern durch die Gegend rasen und Pistolen abfeuern, als wäre es einfach nur ein Spiel.«
    Das Spiel des Lebens , dachte Rosa.
    »Das ist kein Spiel!«, rief sie. »Lasst sie kommen, aber kämpft auf Augenhöhe.«
    Als im Café Beifallsrufe erklangen, wandte sich Rosa ab. Sie spürte, dass Jordi sie beobachtete. »Jordi, ich finde diese Grausamkeit unerträglich«, sagte sie. »Was ist das für eine Welt, in die unser Kind geboren wird?«
    Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. »Eine gute Welt. Für unser Kind kämpfen wir für ein freies Spanien, für ein besseres Spanien. Hab keine Angst. Die Nationalisten müssen den Arbeitern Angst einjagen – nur auf diese Art werden sie gewinnen, durch Furcht. Deshalb stellen sie die Leichen zur Schau, deshalb erlauben sie den Leuten, Imbissstände an Hinrichtungsstätten aufzubauen. Für sie ist das ein heiliger Kreuzzug, und sie wollen uns in Angst und Schrecken versetzen. Aber das sind auch nur Menschen, und wir werden gewinnen.«
    Rosa blickte auf, als eine Gruppe Männer die Treppe, heruntergelaufen kam und von Jubelrufen und in die Höhe gereckten Fäusten begrüßt wurde. Der Erste der Männer hob den Arm, die Silhouette zeichnete sich vor dem Licht
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