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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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Teil des Felsplateaus lugte.
    Ich setzte sanft auf. Die Lichtung war mit einer Art dickblättrigem, feucht glänzendem Gras bestanden. Gras war allgegenwärtig, und anscheinend galt das selbst für Andromeda. Abgesehen von einer drei Meter durchmessenden Glaskugel mit einer darin eingelassenen goldenen Gestalt war die Lichtung leer.
    »Er befindet sich noch in Stasis«, sagte der Glasmensch, während er allmählich wieder menschenähnliche Gestalt annahm. »Dieser Zustand währt jetzt siebzehneinhalbtausend Jahre, doch nach subjektiver Zeit sind weniger als sechs Tage verstrichen.«
    »Wo ist der Apparat? Ich sehe gar keine Stasis-Generatoren.«
    »Die sind unnötig«, entgegnete der Glasmensch. Er hob die Hand und schaltete die Stasisblase ab. Der kaum wiederzuerkennende Hesperus sank ins Gras und kam auf dem Rücken zu liegen. »Es gibt eine viel einfachere Methode, die Zeit zu verlangsamen. Ihr werdet schon noch dahinterkommen, und dann werdet ihr euch über den Aufwand wundern, den ihr in der Vergangenheit betrieben habt.«
    Hesperus befand sich in einer schlimmen Verfassung. Die goldene Verkleidung war verrußt und sah aus, als wäre sie geschmolzen und anschließend wieder gehärtet. Stellenweise wirkte sie ledrig und wies Risse auf wie ein altes Gemälde; an anderen Stellen war sie bernsteinfarben und wirkte wie aus Glas. Er war größer, als ich ihn in Erinnerung hatte, und ähnelte weniger einem goldenen Humanoiden, als vielmehr einem goldenen Sarkophag in Menschenform. Die Arme waren seitlich mit dem Körper verschmolzen, die Beine unlösbar miteinander verbunden. Sein angeschwollener Kopf zeigte keinerlei Lebenszeichen. Seine Gesichtszüge waren zerflossen und wiesen nur noch eine schwache Ähnlichkeit mit einem humanoiden Gesicht auf. Seine Augen waren nicht mehr vorhanden. Die dunklen Schädelfenster waren versengt, und es bewegten sich keine Lichter hinter dem Gitter.
    »Du hast mir gesagt, er sei zerstört«, sagte ich. »Du hast gesagt, er sei tot und von seiner Persönlichkeit nichts mehr übrig.«
    »Das stimmt.«
    »Weshalb hast du ihn dann in Stasis versetzt?«
    »Wegen des Inhalts. Ich habe dir gesagt, er habe seine höheren Funktionen geopfert und sich seiner Persönlichkeit entledigt. Er musste Platz schaffen, um das zu schützen, was ihm am meisten bedeutete.« Der Glasmensch nickte, als könnte er meine Gedanken lesen. »Er hat sich in eine Rüstung verwandelt, Campion – er hat sich verändert, um Portula während des Sturzes zum Planetenboden zu schützen. Dies war seine letzte Handlung als denkendes Wesen.«
    Bis jetzt hatte ich Haltung bewahrt, doch nun fiel ich neben der goldenen Gestalt auf die Knie.
    »Sie ist in ihm drin?«
    »In der Rüstung befindet sich ein weiblicher Mensch. Dieser Mensch lebt, befindet sich allerdings im Koma. Ich bin auf diesem Gebiet kein Experte, doch ich glaube, dass der Mensch unversehrt ist. Natürlich könnte es auch jemand anders als Portula sein, doch in Anbetracht der Umstände …«
    Ich schloss die Augen und brach in Tränen aus, die mit der Gewalt des nebelverhüllten Wasserfalls aus mir hervorstürzten. »Ich muss die Rüstung entfernen«, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte. Ich trauerte um Hesperus und verspürte gleichzeitig abgrundtiefe, verzweifelte Dankbarkeit.
    »Dann helfe ich dir«, sagte der Glasmensch, während ich hilflos an den verschmolzenen Verbindungsnähten der goldenen Gesichtsmaske kratzte. »Anschließend muss ich bedauerlicherweise aufbrechen.«

 
     
     
     
    Deutsche Erstausgabe 08/2009
Redaktion: Wolfgang Jeschke
    Copyright © 2008 by Alastair Reynolds Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House
    Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
     
    eISBN: 978-3-641-03297-5
     
    www.heyne-magische-bestseller.de
    www.randomhouse.de
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