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Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Wood
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Bestimmungen für Touristen gelockert. Meine Cousine begleitete meine Mutter, mittlerweile eine alte Dame, nach Kalifornien. Von ihr bekam ich das hier.« Ich griff in meine Handtasche und zog einen alten Zeitungsartikel heraus, den ich seit über vierzig Jahren aufbewahrte. Er war vergilbt und brüchig, das Bild kaum mehr zu erkennen. Ich gab ihn Charlotte und fuhr fort: »Du hast unsere große Fabrik in Menlo Park gehaßt, weil sie mich dir wegnahm. Du sagtest, ich liebe sie mehr als dich. Ich habe diese Fabrik 1953 eröffnet, vier Jahre vor deiner Geburt, weil Gideon mich davon überzeugte, daß wir riesige, glänzende Fässer, Fließbänder und Reagenzgläser brauchten. Es war eine hochmoderne Anlage, die die Medikamente tausendmal schneller herstellte als der Betrieb in Daly City und tausendmal mehr Menschen Heilung brachte.«
    Charlotte schaute stirnrunzelnd auf das mürbe Stück Zeitungspapier mit der verblaßten Fotografie. »Was soll ich hier sehen?« fragte sie.
    Ich erklärte ihr, daß ich bei meiner Rückkehr nach San Francisco in das Büro des San Francisco Chronicle gegangen war, den Artikel dort vorgezeigt und um einen Abzug des Fotos gebeten hatte. Man verkaufte ihn mir für zwei Dollars und fünfundzwanzig Cents. Auch dieses Bild hatte ich in meiner Tasche und reichte es nun Charlotte. Das Hochglanzfoto war viel besser und schärfer als das Zeitungsbild, so daß sie jetzt die Gesichter der Leute, die mich umgaben, als ich das Band vor dem Eingang der neuen Fabrik zerschnitt, deutlich erkennen konnte.
    »Die Aufnahme wurde am Tag der Eröffnung gemacht«, sagte ich und zeigte auf eine Gestalt im Hintergrund. »Das hier ist meine Mutter. Mei-ling. Sie kam zur Eröffnung meiner Fabrik.«
    Jonathan beugte sich vor, um ebenfalls das Foto anzuschauen, während ich mich zurücklehnte und daran dachte, wie ich 1958 im Büro des San Francisco Chronicle gestanden und auf das Gesicht meiner Mutter gestarrt hatte, nur wenige Meter von mir entfernt, die bei mir und doch nicht bei mir war.
    Charlotte sah mich mit großen Augen an. »Sie hat kein Wort zu dir gesagt?«
    »Wie konnte sie? Sie hatte ihrem Vater versprochen, nie wieder Kontakt mit mir aufzunehmen.«
    »Aber er war tot!«
    »Er weilte bei unseren Ahnen. Trotzdem mußte sie ihn ehren und ihm gehorchen. Gleichzeitig aber machte sie ihrem Herzen Ehre und gehorchte ihrem Gefühl. Am Eröffnungstag der neuen Fabrik war sie an meiner Seite. Von der Cousine in Singapur erfuhr ich, daß sie wenige Tage danach starb, hier in San Francisco. Sie liegt auf demselben Friedhof begraben wie mein leerer Sarg. Als du bei meiner Beerdigung warst, Charlotte, bist du über das Gras gegangen, das auf dem Grab deiner Großmutter wächst.«
    Charlottes Stimme war schmerzerfüllt, als sie sagte: »Ich verstehe trotzdem nicht. Was hat ihr Tod mit der Fabrik zu tun?«
    »Schau dir das Gesicht meiner Mutter an. Erkennst du den Stolz in ihren Augen? Siehst du, wie glücklich sie auf ihre Tochter blickt? Charlotte, als ich das begriff und auch, daß sie so dicht neben mir gestanden und sich trotzdem von mir ferngehalten hatte, da verstand ich, was Familienehre und was das Opfer einer Mutter bedeutet. Und darum ging ich jeden Tag in die Fabrik, von der du glaubtest, ich liebte sie mehr als dich. Weil meine Mutter dort gestanden hatte. Weil sie dort ihre letzte Freude und ihr letztes Glück erlebt hatte.
    Meine Mutter stand neben mir, und ich wußte es nicht, so wie du neben deiner Mutter gestanden hast und es auch nicht wußtest. Sie war mir ganz nah und konnte mich nicht Tochter nennen, so wie ich dir oft ganz nah gewesen bin und nicht Tochter zu dir sagen konnte.«
    »Warum hast du mir das nicht früher gezeigt?« rief Charlotte. »Warum hast du mir nie davon erzählt?«
    »Weil es der Wunsch meiner Mutter war, daß ich von ihrer Anwesenheit nichts wußte. Wie hätte ich diesen Wunsch nicht ehren können?«
    Ich griff noch einmal in meine Handtasche, um das letzte Geschenk für meine Tochter herauszuholen. Ich wischte die Tränen ab, die ihr über die Wangen rollten, und zeigte ihr das Bild, das ich seit neununddreißig Jahren mit mir herumtrug. Es war ein kleines Schwarzweißfoto. Abgebildet waren eine Asiatin, die mit einem neugeborenen Kind auf dem Schoß in einem Krankenhausbett saß, und ein gutaussehender Amerikaner, der schützend den Arm um sie legte und in die Kamera lächelte. »Es wurde in der Nacht deiner Geburt aufgenommen«, sagte ich, während Charlotte den Anblick
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