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Das Gurren der Tauben (German Edition)

Das Gurren der Tauben (German Edition)

Titel: Das Gurren der Tauben (German Edition)
Autoren: A. Schneider
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Stasivergangenheit.
    Anfang 1990
berichteten die Medien, dass alle politischen Gefangenen entlassen worden seien.
Bei denen, die sich noch in Haft bef ä nden, handele es sich um normale Kriminelle, die genau
dort waren, wo sie hingeh ö rten.
    Ich hatte keine
Erkl ä rung daf ü r, warum
ausgerechnet ich noch im Gef ä ngnis sa ß . Meine Eltern
wollten mir helfen und wandten sich mit einem Gnadengesuch ans Oberste Gericht
der DDR. Die Zeit verging, doch nichts passierte. Ich wurde immer unruhiger und
frustrierter.
    Die Antwort des
Obersten Gerichts kam im April. In dem Schreiben wurde meinen Eltern
mitgeteilt, dass eine Begnadigung auf Grund der Schwere meiner Straftat nicht
in Frage kommt. Meine Eltern wurden aufgefordert auf ich einzuwirken, damit ich
aus meiner Straftat die richtigen Konsequenzen z ö ge. Vor Ablauf von einigen Jahren, w ä re ein weiteres
Gnadengesuch zwecklos.
    Diese Nachricht
war eine herbe Entt ä uschung f ü r mich. Die DDR
war praktisch Geschichte und ich, der versucht hatte diesen Staat acht Jahre
vor der Wende zu verlassen, war immer noch hinter dessen Gittern. Es war nicht
zu fassen!
    Die Tatsache,
dass sich der Gef ä ngnisalltag komplett ver ä ndert hatte, war nur ein kleiner Trost. Wir genossen Freiheiten, die vor
der Wende undenkbar gewesen waren: Jeder Gefangene hatte einen Fernseher in
seiner Zelle; wir konnten au ß erhalb der Arbeitszeit Videos schauen so lange wir wollten und hatten
unbeschr ä nkten Zutritt
zum Sportraum; T ü ren und Gitter waren tags ü ber nicht verschlossen und Isolation existierte nicht mehr.
    Die Regeln der
Besuchsdurchf ü hrung hatten
sich ebenfalls ge ä ndert. Jeder Gefangene konnte seine Verwandten oder Freunde mindestens
einmal im Monat sehen. Es war ein ü berw ä ltigendes Erlebnis f ü r mich, als ich meine Br ü der wiedersah. Ich hatte sie zuletzt gesehen, als sie noch Kinder waren.
Nun sa ß en mir zwei
junge M ä nner gegen ü ber. Es war r ü hrend und kein
Auge blieb trocken.
    Die W ä rter hatten sich
um 180 Grad gedreht. Sie waren freundlich, hilfsbereit und mitf ü hlend und lie ß en keine
Gelegenheit aus zu erkl ä ren, dass sie nur Befehle befolgt h ä tten.
    Die Zeit
verging. Einige Gefangene von anderen Gef ä ngnissen wurden nach Bautzen verlegt. Im Herbst 1990
organisierte die Anstaltsleitung ein Tischtennisturnier gegen einen Bautzener
Tischtennisklub. Ich erreichte das Halbfinale. Der Verlierer des zweiten
Halbfinales war Andreas. Wir beide sollten um Bronze spielen.
    Nachdem wir von
II/West verlegt worden waren, hatte ich nichts mehr mit ihm zu tun gehabt. Wir
sprachen nicht dar ü ber, doch wir wussten beide, dass dies nicht einfach nur das Spiel um Platz
drei in diesem Turnier war. Zwischen uns war noch eine alte Rechnung offen.
Dies sollte also das ultimative Entscheidungsspiel werden.
    Es war wie
Krieg. Wir k ä mpften um jeden
Ball. Am Ende stellte sich heraus, dass Kapitalismus besser war. Er schlug
Kommunismus in zwei zu null S ä tzen ...
    Doch all das
nutzte mir nichts: Ich war immer noch im Gef ä ngnis. Jeden Tag verbrachte ich Stunden im Kraftraum, um
mich abzureagieren. Ich begann auch meine Geschichte aufzuschreiben. Mario, der
hervorragend auf der Schreibmaschine tippen konnte, schrieb alles f ü r mich ab.
    In jenen Tagen
wurde ich mehrmals von zwei Kriminalbeamten aus Dresden vernommen. Es ging um
die Vergiftung durch die Stasi im Jahre 1983. Angeblich war zwei weiteren
Gefangenen, die genau wie ich wegen schweren Terrors einsa ß en, das Gleiche
widerfahren. Auf den Fotos, die mir vorgelegt wurden, identifizierte ich
Hasenscharte und seinen Partner. Ihre echten Namen waren Voigt und Brenneke.
Irgendwann bekam ich Bescheid, dass die Ermittlungen wegen Verj ä hrung
eingestellt wurden.
    Weihnachten 1990
war schrecklich. West- und Ostdeutschland waren offiziell wiedervereint und ich
sa ß immer noch in
Bautzen. Mein Glaube an die Gerechtigkeit war auf dem Nullpunkt angelangt.
Meine Eltern unternahmen einen neuen verzweifelten Versuch mir zu helfen und schrieben
an alle m ö glichen Stellen
um meine Freilassung zu erwirken. Meine Mutter fuhr sogar nach Potsdam und f ü hrte ein pers ö nliches Gespr ä ch mit einem
hohen Justizbeamten. Das Problem war, dass das Justizsystem in Ostdeutschland
ein reines Chaos war. Niemand erachtete sich f ü r zust ä ndig. Meine Akte wanderte von einem Gericht zum anderen. Aus
diesem Teufelskreis schien es keinen Ausweg zu geben.
    *

Der 8. Mai 1991
begann wie jeder andere Tag.
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