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Das Gurren der Tauben (German Edition)

Das Gurren der Tauben (German Edition)

Titel: Das Gurren der Tauben (German Edition)
Autoren: A. Schneider
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Obwohl ich mich auf den extra langen Besuch und
die von meinen Eltern angek ü ndigte Ü berraschung am n ä chsten Tag
freute, konnte ich es nicht fassen, dass ich auch noch meinen 30. Geburtstag
hinter Gittern feiern sollte.
    Nach dem
Mittagessen ging ich in den Kraftraum. Gegen 16 Uhr, kam ein W ä rter und bat
mich mit ihm zum B ü ro des Anstaltsleiters zu kommen. In jenen Tagen war das nichts Besonderes,
weil ich “ Kulturverantwortlicher ” innerhalb der
Anstalt war. Deshalb nahm ich an, dass Trixi, der in der Zwischenzeit den
Anstaltsleiterposten von Oberstleutnant Alex ü bernommen hatte, etwas in dieser Hinsicht mit mir
besprechen wollte.
    Vor dem B ü ro musste ich
warten, weil Trixi noch am Telefon war. Er sprach laut und ich bekam zwangsl ä ufig einige
Gespr ä chsfetzen mit.
Es ging um jemanden, der entlassen werden sollte.
    Zuerst h ö rte ich es nur.
Dann schien mein Gehirn die Information verarbeitet zu haben und es traf mich
wie ein Blitz. Jeden Morgen war ich aufgestanden in der festen Ü berzeugung, dass
heute DER Tag sein w ü rde. An diesem Tag jedoch, hatte ich komischerweise noch keinen Gedanken an
meine Entlassung verschwendet.
    Als Trixi mich dann
hinein rief, gab er die unglaubliche Nachricht an mich weiter indem er ein Fax
vom Bezirksgericht Frankfurt (Oder) vorlas. Darin hie ß es, dass ich
mit sofortiger Wirkung zu entlassen sei.
    Den eigenartigen
Umstand, dass mein Fall nach DDR-Recht – ein Staat der nicht mehr existierte – revidiert worden
war, nahm ich zur Kenntnis. Mein neues Urteil lautete 10 Jahre Jugendhaft. Die
drei Monate, die zur vollst ä ndigen Verb üß ung der Strafe fehlten, wurden zur Bew ä hrung ausgesetzt.
    Trixi fragte, ob
er meine Eltern informieren soll.
    Ich sagte nein,
denn ich wollte sie ü berraschen.
    Er entschuldigte
sich, falls er mir “ jemals etwas angetan haben sollte ” .
    Ich h ö rte nicht zu,
sondern wiederholte im Geist den einen Satz: “ Sie sind mit sofortiger Wirkung zu entlassen!"
Ich verstand die Bedeutung, konnte es aber nicht fassen. “ Ich gehe heute noch
nach Hause! In ein paar Minuten ist es definitiv vorbei! Dann bin ich frei,
frei, frei! ” jubelte eine
Stimme in mir.
    Trixi fragte, ob
er sonst irgend etwas f ü r mich tun k ö nne.
    “ Rufen Sie mir
ein Taxi ” , sagte ich.
    Wir sch ü ttelten die H ä nde und drau ß en war ich. Auf
dem Weg zur W ä schekammer kniff
ich mich, um sicherzugehen, dass ich nicht tr ä umte. Ich konnte und wollte die Freudentr ä nen nicht zur ü ckhalten.
    Meine Eltern
hatten mir einige Monate zuvor neue Klamotten geschickt. Nichtsdestotrotz, warf
ich einen Blick auf die alten Jeans und das T-Shirt in dem dieser Junge eine
Dekade zuvor verhaftet worden war. Beides war zu klein f ü r mich.
    Ich
verabschiedete mich von einigen anderen Gefangenen, bekam ca. 1.500 Mark
ausgezahlt und ging mit einem Schuhkarton unterm Arm, der mein Manuskript und
all die Briefe von meiner Mutter enthielt, den Weg, den ein Gefangener nur
einmal geht.
    Die Blecht ü r schlug
krachend hinter mir zu. Ich drehte mich nicht um, denn ich wollte nicht wissen,
wie das Geb ä ude aussah, in
dem ich ein Drittel meines Lebens verbracht hatte. Diese Episode war aus und
vorbei – abgehakt. Der
Rest meines Lebens lag vor mir. Ich war immer noch 29 Jahre alt und mir standen
alle M ö glichkeiten
offen.
    Das Taxi war ein
Mercedes, ein “ Westauto ” , wie man in der
DDR sagte. Komisch – zehn Jahre zuvor war ich ausgezogen um in den Westen zu gelangen. Nun war
der Westen zu mir gekommen.
    Der Taxifahrer
sprach ohne Unterbrechung: “ Ich dachte, dass der Promiknast ’ 89 geschlossen wurde ... Sie waren da 10 Jahre drin? ...
Nun, man kann nicht sagen, dass alles schlecht war in der DDR ... ”
    Als ich nicht
mehr antwortete, hielt er sich zur ü ck.
    Die meiste Zeit
w ä hrend der zweist ü ndigen Fahrt
schaute ich aus dem Fenster und gab mich meinen Gedanken hin. Es war gro ß artig, ein freier
Mann zu sein. Als wir in die schmale, holprige Stra ß e abbogen, die dorthin
f ü hrte, wo ich
aufgewachsen war, ü berkam mich ein eigenartiges Gef ü hl. Ich hatte dieses Dorf nie gemocht. Doch es war der
einzige Ort gewesen, wo mich alle akzeptierten, wo mich niemand anstarrte, wo
niemand meinen Namen mit “ der Neger ” ersetzte, wenn
er ü ber mich sprach,
wo ich dazugeh ö rte ... Alles
war so, wie in meiner Erinnerung. Nichts hatte sich ver ä ndert.
    Ich dachte zur ü ck an meine
Kindheit, daran, wie sehr ich diese lange
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