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Das große Los

Das große Los

Titel: Das große Los
Autoren: Georges Simenon
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Tänzerin verabschiedet, die auf den Montmartre mußte.
    »Bis heut abend.«
    Ein Polizist auf Fahrradstreife hatte die Szene, in den frühen Morgenstunden in diesem Viertel nicht ungewöhnlich, im Vorbeifahren mitbekommen. Er war nach links abgebogen, ohne sich danach umzudrehen.
    Er hatte gemächlich seine Runde durchs Viertel gedreht und dazu nicht ganz zehn Minuten gebraucht, bevor er wieder in die Rue Nôtre Dame de Lorette gekommen war, von unten, von der Rue St. Georges her, und da hatte er eine dunkle Gestalt auf dem Trottoir liegen sehen.
    Odette Lagrange, die er eben noch lebendig gesehen hatte und die von einem Schuß mitten in die Brust getroffen worden war.
    »Du hast das doch alles selbst gelesen?« fragte Émile Berna seinen Exkollegen.
    »Hab’ ich.«
    »Und was ist dir dabei eingefallen?«
    »Nichts.«
    »Kennst du Louis?«
    »Den hab’ ich vor fünfzehn Jahren ein paarmal verhaftet.«
    »Er behauptet, gleich wieder reingegangen zu sein, nachdem er die Läden vorgelegt hatte, und hinauf in sein Zimmer, wo seine Frau auf ihn wartete. Sie wohnen über dem Lokal.«
    »Ich weiß.«
    »Seine Frau bestätigt natürlich seine Aussage. Sie kocht für die Gäste, die einen Happen essen wollen. Alle beide behaupten, sie hätten in der bewußten Nacht niemand Zwielichtigen im Lokal gesehen. Odette Lagrange lebte allein. Freunde von ihr sind nicht bekannt. Auch keine Feinde. Ihre Handtasche lag neben ihr auf dem Trottoir und war noch zu. Ihr Schmuck war auch nicht geraubt. Was guckst du mich so an?«
    »Weil ich darauf warte, was kommt. Das ist das Spannende, und das hat dich doch hergetrieben, oder?«
    Fünfzigmal war Berna schon so hereingeschneit, als komme er zufällig vorbei, um sich von seinem früheren Kollegen einen Rat oder Hinweis zu holen; nicht ein einziges Mal hatte er den Zweck seines Besuchs bekannt.
    »Selbstverständlich haben wir den ›Pélican‹ in der Nacht darauf überwacht.«
    Justin wiederholte mit sanfter Ironie:
    »Selbstverständlich.«
    »Wir haben auch Anwohner der Rue St. Georges vernommen, und eins scheint sicher: Der Mörder hatte kein Auto.«
    »Folglich war er zu Fuß.«
    »Willst du mich veräppeln?«
    »Red weiter. Du sagtest gerade, Louis hätte eine neue ›Sängerin von der Pigalle‹ ausgegraben.«
    »Hab’ ich das?«
    »Du wolltest es gerade sagen.«
    »Genau. Nicht am selben Abend, aber am Abend darauf. Eine gewisse Lucy Perrin, die bei ihrer Mutter wohnt, am Boulevard des Batignolles.«
    »Und die hat sich beworben?«
    »Ja. Die war’s …«
    »War?«
    »Leider. Geduld. Sie war Schülerin am Konservatorium, sehr anständiges Mädchen, soweit man das sagen kann, studierte aufs Theater und wollte am Montmartre singen, um sich erst mal den Lebensunterhalt zu verdienen.«
    »Verstehe. Und auch sie ist im Morgengrauen aus dem ›Pélican‹ gekommen. Sie hat Louis gute Nacht gesagt.«
    Berna hatte eine mürrische Miene aufgesetzt.
    »Du hast wohl einen Inspektor auf der Straße gehabt?«
    »Parbleu!«
    »Er hat sie beschattet?«
    »Ja.«
    »Wenn sie zum Boulevard des Batignolles wollte, mußte sie nicht durch die Rue St. Georges. Ich nehme also an …«
    »In der Tat ist sie nicht in der Rue St. Georges umgebracht worden. Sie ist nach Hause gegangen, ich meine, hinein in das Mietshaus, zu ihrer Mutter. Die Wohnung liegt im fünften Stock. Es gibt einen Fahrstuhl. Die Concierge erinnert sich, den Türöffner betätigt und gehört zu haben, wie sie in den Fahrstuhl stieg.«
    »Ich vermute, der Inspektor ist dann seelenruhig zurück zum Quai des Orfèvres.«
    »Der hat sich aufs Ohr gelegt, denn er hatte Dienstschluß. Eine Stunde später hat uns ihre Mutter alarmiert mit der Meldung, daß sie nicht heimgekommen ist.«
    Im Schlafzimmer rührte sich was. Justin Duclos hob die Stimme und fragte:
    »Was treibst du da, Lili?«
    »Ich räume fertig auf.«
    Der dicke Berna seufzte, nachdem er sich eine Zigarette angesteckt hatte, die in seinem feisten Gesicht zu verschwinden schien:
    »Voilà! Das ist alles. Ich dachte, es würde dich interessieren.«
    »Ist ganz interessant.«
    »Es ist vor allem zum Auswachsen. Von dem zweiten Fall haben die Zeitungen noch keinen Wind. Wäre Lucy Perrin nicht im selben Nachtlokal aufgetreten wie die erste, im selben Kostüm, auch unter demselben Namen, wären wir gar nicht über die Vermißtenanzeige gestolpert.«
    Mit abgewandtem Gesicht wie jedesmal, wenn es ihm peinlich wurde, fragte er:
    »Und du, siehst du da einen Zusammenhang?«
    »Lucy
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