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Das große Los

Das große Los

Titel: Das große Los
Autoren: Georges Simenon
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Perrin hatte gleichfalls weder Freunde noch Feinde?«
    »Ein Freund, angeblich ihr Verlobter, studiert auch am Konservatorium. Nicht Gesang, sondern Geige.«
    »Er hat sie nicht im ›Pélican‹ singen hören?«
    »Er wußte nicht mal, daß sie dort auftrat.«
    »Hätte er sich aufgeregt?«
    »Er ist eifersüchtig. Aber nicht so, daß er sie umbringen würde.«
    »Glaubst du denn, sie ist umgebracht worden?«
    »Weiß nicht. Ich kann mir ihr Verschwinden nicht erklären.«
    »Und Louis?«
    »Louis auch nicht. Er rauft sich die schütteren Haare und jammert, sein Lokal sei am Ende, nie wieder werde eine bei ihm singen, und genausogut könne er gleich jetzt den Schlüssel unter die Matte legen.«
    »Redet er von Wegzug?«
    »Er sagt alles Mögliche, was ihm in den Sinn kommt. Er wütet herum, jammert, sowas könne nur ihm passieren, und wozu die ganze Mühe, sauber zu bleiben, wenn er jetzt bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt.«
    »Vierzehn Jahre lang hat er sich jetzt nichts mehr zuschulden kommen lassen.«
    »Ich weiß. Ich hab’s überprüft.«
    Justin Duclos legte seine Pfeife aufs Fenstersims und manövrierte seinen Rollstuhl mit einer Geschicklichkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, mit beiden Händen an den großen Rädern quer durchs Zimmer zu einer bauchigen Kommode, zog eine ihrer Schubladen auf, und sein ehemaliger Kollege setzte ein harmloses Gesicht auf.
    Duclos mochte es nicht, daß man sich zu sehr für seine Schätze interessierte. In der Schublade lagen mindestens hundert Hefte in schwarzer Wachstuchhülle, alle vom selben Muster, so billige Kladden wie die, in denen die Waschfrauen die Zahl der Wäschestücke festhalten.
    Schon damals, als er noch zum Quai des Orfèvres gehörte, waren diese Hefte berühmt gewesen, denn er zog gewöhnlich, wenn er an einem Fall arbeitete, eins davon aus der Tasche und kritzelte mit spitzem Bleistift und fast unleserlicher Klaue ein paar Worte hinein.
    »Fünfzehn Jahre …« brummte er. »Mal sehen.«
    Die Hefte waren durchnumeriert. Er fand das gesuchte und blätterte darin.
    »Das letzte Mal ist Louis dafür verurteilt worden, daß er Diebesware aus einem Laden am Boulevard Sébastopol in Belgien verhökern wollte. Er steckte unter einer Decke mit Fred dem Tätowierten. Weißt du, was aus Fred geworden ist?«
    »Ich hab’ schon lange nichts mehr von ihm gehört.«
    »Du tätest vielleicht gut daran, Erkundigungen einzuziehen. Der hat sich bestimmt inzwischen nicht um Besserung bemüht. Ich weiß noch, wie ich ihn an einem Wintermorgen in einem Hotel Garni in der Rue Saint-Antoine am Schlafittchen kriegte … Moment mal …«
    War der Kommissar mit seiner gespielten Harmlosigkeit nicht genau wegen so was hierhergekommen? Mit Justin konnte er sich Stunden mühsamer Recherchen sparen.
    »Vor acht Jahren, im Jahr vor meinem Unfall … Ich hab’s gefunden … Am siebten Januar … Im ›Hôtel de la Lune‹ …«
    Er blätterte ein paar Seiten um.
    »Fünf Jahre Gefängnis. Er ist also seit drei Jahren wieder draußen, sofern du ihn nicht inzwischen an den Blechnapf zurückgeschickt hast.«
    Berna erhob sich ächzend und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.
    »Ich danke dir, mein Alter.«
    »Ich hab’ dir zu danken, daß du vorbeigekommen bist und guten Tag gesagt hast.«
    Auf der Schwelle drehte sich der Dicke um:
    »Was würdest du an meiner Stelle tun?«
    »Recherchieren.«
    »Wo?«
    »Überall.«
    »Und wenn nun einer dritten ›Sängerin von der Pigalle‹ was passiert?«
    »Wäre ein Hinweis. Glaubst du, Louis findet noch mal eine?«
    Da erschien Lili, um den Kommissar hinauszugeleiten.
    »Auf Wiedersehen, meine Kleine.«
    »So klein bin ich doch nicht mehr!« gab sie zurück. »Dreiundzwanzig seit letzter Woche.«
    »Wie die Zeit vergeht … Ich seh’ dich noch vor mir, damals, als …«
    Schluß jetzt! Besser nicht davon reden und daran erinnern, unter welchen Umständen Justin Duclos vor zwanzig Jahren, als er erst Kriminalinspektor und noch nicht Witwer war, einen Säugling adoptiert hatte, der aus guten Gründen von keinem Elternteil je zurückgefordert werden konnte.
    »Hast du das gehört, Lili?« fragte der ehemalige Kommissar, als sie wieder unter sich waren.
    »Ja.«
    »Du hast gelauscht?«
    Sie sagte freimütig:
    »Ja.«
    »So was interessiert dich?«
    Schien ihn jedesmal zu verblüffen.
    »Das weißt du doch genau.«
    Er fragte sie nicht, warum. Das Thema war tabu.
    »Jetzt muß ich meine Einkäufe machen. Magst du
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