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Das große Los

Das große Los

Titel: Das große Los
Autoren: Georges Simenon
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Leute wie dein Vater Anwandlungen von Ehrbarkeit kriegen, werden sie ihren Freunden gefährlich. Ich bin sicher, er wollte singen, nachdem er geschnappt war, aber er wußte genau, daß dann einem gewissen Säugling was zustoßen würde, genau wie seiner Frau.«
    »Sie sind ein Ungeheuer!« brach es aus ihr heraus.
    Und er bemerkte dazu zufrieden:
    »Genau. Jedenfalls haben Duclos und Konsorten so eine Vorstellung von mir. Deswegen bist du aber trotzdem die Tochter eines Mörders, meine Kleine.«
    »Das weiß ich.«
    »Was dich nicht hindert, zu den Bullen zu halten.«
    Wieder lachte er sein stummes Lachen. Dann stand er auf, ging zur Tür, die er einen Spaltbreit aufmachte, sprach kurz leise mit jemand auf dem Treppenabsatz, bestimmt dem Mann mit den Goldzähnen. Im Stehen erwies er sich als viel kleiner, als sie gedacht hatte, denn er hatte zwar einen normalen Torso, aber ganz kurze Beine. Bei anderen Gelegenheiten wirkte er dadurch gewiß lächerlich, aber hier machte es ihn nur noch furchteinflößender.
    »Alles in Butter«, verkündete er, als er zurückkam, um seinen Platz wieder einzunehmen. »Wir haben Zeit genug zum Reden. Was willst du denn noch alles wissen?«
    »Haben Sie meine Mutter umbringen lassen?«
    Mit der Bescheidenheit eines Künstlers, den man beglückwünscht, murmelte er:
    »Es war notwendig, hab’ ich dir doch schon gesagt.«
    »Sie haben auch Camus umbringen lassen?«
    »War ebenfalls erforderlich, und ich gestatte mir die Bemerkung, es ist gute Arbeit gewesen. Du warst offenbar Augenzeugin.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Einer der beiden Männer im Auto hat dich gesehen, nur ein paar Schritte hinter Camus. Dein Bild ist sozusagen auf seiner Netzhaut eingebrannt, wie das in solchen Augenblicken passieren kann, und vorhin in der ›Bar des Copains‹ hat er dich wiedererkannt. Du fragst dich vielleicht, warum ich dir das alles erzähle? Es ist wichtig für mich, daß du es weißt: Mein Sohn hat wochenlang in der Todeszelle gesessen. Und weißt du, was das Schlimmste war? Weißt du, was für mich Justins größtes Verbrechen ist? Daß er ihn am Ende zum Spießer gemacht hat. Dermaßen, daß mir mein Junge, als ich ihm stecken ließ, ich würde seinen Ausbruch organisieren, hat ausrichten lassen, er will die Tat lieber sühnen.«
    Er lachte, es schüttelte ihn noch heftiger als zuvor, doch schossen ihm dabei die Zornestränen in die Augen.
    »Justin hat ihn mir zweimal weggenommen. Trotzdem hat es der große Mann, das As der Asse, der unfehlbare Kriminaler, nie bis zu mir geschafft. Er ahnt nicht mal, von wem die Kugel ist, die ihn zwar nicht umgebracht, aber immerhin an den Rollstuhl gefesselt hat. Die Einbrüche, die Morde sind weitergegangen, und immer wieder mal sind Täter verhaftet worden, ohne daß ich auch nur behelligt worden wäre. Wer von uns beiden ist stärker, ich oder er, kannst du mir das sagen? Daß ich der Stärkere bin, hängt damit zusammen, daß ich sie alle hasse, schon seit jeher, weil ich diese ehrbaren Leute hasse, solange ich zurückdenken kann.«
    Da er gerade den Kolben des Revolvers streichelte, konnte sie sich nicht verkneifen, ihm hinzuwerfen:
    »Aber zu feige, selber zu morden!«
    Er riß den Kopf so heftig hoch, daß ihr angst wurde, denn sein Gesicht zeigte, daß sie einen Volltreffer gelandet hatte.
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Das braucht mir keiner zu sagen. Ich bin sicher, Sie haben nicht selbst auf Justin Duclos geschossen. Sie sind ein Feigling, was? Ich frage mich, ob Sie ihn nicht gerade deswegen so innig hassen, weil Sie so feige sind. Sie haben Ihr Leben bestimmt mit dreckigen kleinen Gaunereien angefangen …«
    Zum zweiten Mal wünschte sie sich, ihr Stiefvater möge ihre Absichten erraten haben. Während sie ihrem Gegenüber zuhörte, vergegenwärtigte sie sich die kleinsten Einzelheiten des Tagesablaufs in dem Versuch, irgendwelche Hinweise darauf zu finden. Wenn Duclos richtig geraten hatte, warum hatte er dann keine Maßnahmen getroffen, um sie zu schützen? Und warum hatte er sie dann überhaupt gehen lassen? Wußte er nicht, welcher Gefahr sie sich aussetzte?
    »Ich hab’ als Trödler angefangen«, sagte er mit dumpfer Stimme, »als bettelarmer Schlucker in einer belebten Straße auf dem Montmartre.«
    »Und jetzt sind Sie stinkreich, was?«
    »Keiner hat eine Ahnung, wie reich ich bin. Meine engsten Mitarbeiter ahnen nicht, daß ich die zwei größten Auktionshäuser von Paris besitze, Lagerhallen, einen Antiquitätenhandel, ganz zu
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