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Das große Los

Das große Los

Titel: Das große Los
Autoren: Georges Simenon
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nicht täuschen.
    »Ich hab’ sie wohl in meinem Zimmer gelassen …«
    Er blätterte sie nur durch, offenbar nach der Notiz auf dem Rand.
    War es nicht ehrlicher, wenn sie ihm gestand, daß sie mit dem mysteriösen Gaston telefoniert und für heute abend um elf ein Treffen in der ›Bar des Copains‹ ausgemacht hatte?
    Dann aber würde sie auch gestehen müssen, daß sie Camus beschattet und den Mord gesehen hatte.
    Dafür war es jetzt zu spät, fand sie. Sie hatte die Sache angefangen und würde ihre Ehre dareinsetzen, bis zum Ende zu gehen, auch wenn ihr Instinkt ihr sagte, daß sie sich auf was Gefährliches einließ.
    Sie hätte gern das Wachstuchheft durchgeblättert, aber wie zufällig hatte Duclos es eingesteckt.
    Sie machte das Abendessen. Dann, kurz vor zehn, kam die Concierge herauf, um ihr zu helfen, den Behinderten zu Bett zu bringen.
    Sie wartete bis halb elf, suchte ein abgelegtes Baumwollkleidchen heraus, das ihr nicht stand, und zerknautschte eins ihrer Hütchen so keck, daß sie wie ein Dienstmädchen wirkte. Genau so wollte sie’s haben. Außer den Professionellen und den eleganten Damen, die dort einen kleinen Kitzel suchten, verkehrten in den Nachtbars in der Rue de Lappe und der Rue de la Roquette vor allem Dienstmädchen, die mal ein bißchen über die Stränge schlagen wollten.
    Sie schminkte sich entsprechend, legte zuviel Puder auf und malte sich ungeschickt die Lippen.
    »Was hast du denn jetzt schon wieder vor?« rief Juliette, als sie bei ihr auftauchte.
    »Ausgehen.«
    »Ich hoffe, du traust dich mit dieser Visage nicht zu ehrbaren Leuten.«
    »Unsere Abmachung gilt. Wenn mein Vater ruft …«
    »Hast du keinen Schiß?«
    »Wovor?« fragte sie forsch zurück.
    Sie hatte im Leben noch nie Angst gehabt. Vielleicht wäre sie nicht gegangen, wenn Juliette nur ein bißchen gebohrt hätte. Fast hätte sie zu ihr gesagt:
    »Halt mich zurück!«
    Ein Taxi nahm sie nicht. Zur Place de la Bastille war es nicht weit. Die Nacht war warm, und Pärchen spazierten untergehakt die Quais entlang, manche knutschten im Dunkel der Hauseingänge, während die Leute des Viertels ihre Hunde Gassi führten.
    An der Bastille hatte das nächtliche Treiben begonnen, die Lichtreklamen der Rue de Lappe machten die Nacht zum Tage, und aus den offenen Türen drang das Gedudel der Tanzkapellen.
    Vor jedem Stundenhotel standen zwei oder drei Frauen, und Lili versuchte im Vorbeigehen, ihre lässigen Bewegungen abzugucken.
    Sie hatte sich kein einziges Mal umgedreht, und erst im Gedränge dieses nächtlichen Jahrmarkts fragte sie sich, ob sie vielleicht beschattet wurde. Es war zu spät, um es herauszufinden. Trotzdem drehte sie sich um, und als ihr niemand auffiel, holte sie tief Luft und trat in die ›Bar des Copains‹ wie eine, die sich ins kalte Wasser stürzt.
    Hier gab es keine Musik. Weil nichts los war, kehrten die Nachtschwärmer von Paris hier auch nicht ein. Auf den ersten Blick eine ganz gewöhnliche Bar, kaum anders als die, von der aus sie heute nachmittag angerufen hatte. Durch die schummrige Beleuchtung und die schmutziggelben Wände wirkte sie allerdings reichlich trist.
    Kaum Frauen, nur zwei. Eine saß an einem Tisch neben der Tür, und ihr Begleiter flüsterte eindringlich mit ihr. Die zweite sah vier anderen Gästen beim Kartenspiel zu.
    Lili kam es so vor, als nehme man keine Notiz von ihr, doch das beruhigte sie keineswegs. Niemand hatte bei ihrem Eintreten den Kopf gehoben, um sie von oben bis unten zu mustern, wie es normal gewesen wäre. Eine Reklameuhr an der Wand zeigte zehn nach elf. Der Tisch unter der Uhr war frei, wie extra reserviert.
    Sie ging hin und setzte sich. Sie zerbrach sich den Kopf, was sie bestellen mußte, um nicht aus der Rolle zu fallen, aber sie kam im entscheidenden Moment nicht darauf.
    »Einen Diabolo …«, stieß sie schließlich hervor.
    Wortlos wurde ein Glas mit der Mischung von Bier und Limonade vor sie hingestellt.
    Bildete sie sich das nur ein, oder nahm wirklich niemand Notiz von ihr? Der Wirt hinter dem Tresen sah aus wie die meisten Kneipiers, hatte die Ärmel über den behaarten Armen hochgekrempelt wie der Wirt aus dem Burgund. Der Kellner war kleinwüchsig und blutjung.
    Sollte sie nach Monsieur Gaston fragen? Oder einfach nur wortlos warten?
    Eine Viertelstunde verging. Sie hatte Zigaretten mitgebracht, obwohl sie Nichtraucherin war, und paffte ungeschickt, um sich ihrer Umgebung anzupassen.
    Ein Mann kam herein, lehnte sich an den Tresen, trank dort
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