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Das große Los

Das große Los

Titel: Das große Los
Autoren: Georges Simenon
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schweigen von ein paar Juwelierläden nicht bloß in Paris, sondern in ganz Frankreich.«
    »Also im Klartext, Sie lassen auf Bestellung klauen, gegebenenfalls morden, und befassen sich nur mit dem Verkauf der Beute.«
    »So ungefähr. Oder, wenn du so willst, ich bin das Gehirn.«
    »Und Ihr Sohn war einer von den Handlangern.«
    »Sag lieber nicht so viel über ihn.«
    »Und auch nicht über meinen leiblichen Vater, den Sie genauso verheizt haben?«
    »Morgen früh wird Justin aufwachen und vergeblich nach dir rufen. Er wird sofort begreifen, weil er schlau genug ist, zu wissen, daß dein Verschwinden zusammenhängt mit dem blöden Besuch von Camus.«
    »Sie haben Camus beschatten lassen?«
    »Seit er in Frankreich von Bord gegangen ist. Sieh mal, meine Kleine, ich bin ein Mann mit langem Arm. Der Quai des Orfèvres ist zwar auch mächtig und hat sein Nachrichtennetz. Aber die Leute dort müssen den Dienstweg und ihre Vorschriften einhalten. Außerdem sehen sie alles nur von außen. Was in den Gefängnissen vorgeht, was in der Strafkolonie passiert, weiß ich meist eher als sie. Und so habe ich erfahren, daß sich dem Camus ein paar Tage, bevor er seine Strafe abgebrummt hatte, einer anvertraut hat, der für mich aktiv war und hoppgenommen worden ist. Wohlgemerkt, dieser Zinker hat mich nie gesehen, kennt meinen Namen nicht, war nur ein Laufbursche, und alles, was er verpfeifen konnte, war die Losung, das berühmte Wort ›Gaston‹, das auch dich hergeführt hat.
    Auf der höchsten Ebene meiner Organisation gibt es nur drei oder vier Leute. Die anderen müssen in der ›Bar des Copains‹ anrufen, die selbstverständlich mir gehört, wo sie sorgfältig überprüft werden und gegebenenfalls ihre Aufträge erhalten.
    Das hat Duclos nie auch nur geahnt. Ich weiß genau, daß er sich seit sieben Jahren, seit er Krüppel ist, in seinem Rollstuhl verzehrt nach der Antwort, wer ihn für den Rest seiner Tage dort hineingenagelt hat.
    Jetzt weißt du alles, und mir tut nur eins leid, daß ich es ihm nicht selber sagen kann. Ich hätte so gern, daß auch er mich anbetteln muß! Stell dir die Szene vor. Mit Tränen in der Stimme fleht er mich an:
    ›Gib mir meine Tochter zurück.‹
    Früher haben wir uns nämlich geduzt. Ich aber sage:
    ›Du weißt doch genau, daß ich das nicht tun kann. Tut mir leid für dich.‹
    Und dann fängt er zu flennen an. Denn das muß er. Ich hab’ sehr geweint, damals, als ich bei ihm war! Vielleicht fällt er sogar auf die Knie und kriecht zu mir her, mir vor die Füße.
    ›Bring sie nicht um, um Gottes willen.‹
    ›Ich glaub’ nicht an Gott.‹
    ›Um der Liebe willen.‹
    ›Ich glaub’ nicht an die Liebe …‹«
    Ihr kam es vor, als müsse sie die Luft anhalten, so schrecklich war es, ihn sich derart erregen zu sehen, ohne daß er rot im Gesicht wurde und ohne daß man etwas anderes als den Haß spürte, der ihm das Gesicht zur Fratze verzerrte.
    »Es wäre der schönste Tag meines Lebens. Die Krönung meiner Karriere.«
    »Aber tun würden Sie es?«
    Er blickte ihr in die Augen, und sie sah ihn zögern.
    »Weiß nicht. Ich glaube, ich ruf ihn an, ohne meinen Namen zu sagen. Als mein Sohn aufs Schafott ging, war er anwesend, er hat ihn sterben sehen. Ich hätte ihn auch hier gern dabei. Vielleicht kann er’s am Telefon mithören …?«
    Der Gedanke war ihm gerade gekommen und erregte ihn. Er stand ein zweites Mal auf und ging zur Tür, mit rascherem Schritt als zuvor. Einen Augenblick lang fragte sich Lili, ob sie nicht versuchen sollte, aufzuspringen und ihm den Revolver zu entreißen. Er hatte zugegeben, daß er feige war, daß er nie gewagt hatte zu töten. Würde er auch zögern abzudrücken, wenn er selbst bedroht wurde? Als ob er es erriete, murmelte er:
    »Laß das lieber …«
    Und riß die Tür auf. Völlig siegesgewiß. Er war sein ganzes Leben lang seiner selbst sicher gewesen. Dreißig Jahre lang hatte er die Polizei schon gefoppt und ohne Zögern ermorden lassen, wer seine Kreise stören wollte.
    Man sah schon seine Lippen die Worte formen, die er dem Mann mit den Goldzähnen sagen wollte, doch zu Lilis Verblüffung sagte er gar nichts, sondern es entstand unter der Tür ein Tumult, und von einem Kopfstoß in den Magen taumelte der Alte ein paar Schritte zurück, bevor er zu Boden stürzte.
    Den Revolver hatte er nicht losgelassen, eine Kugel fuhr in die Wand.
    Da hatte sich schon ein Riese auf ihn gestürzt und preßte ihn mit seinem Gewicht nieder, umklammerte ihm
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