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Das große Hörbe Buch

Das große Hörbe Buch

Titel: Das große Hörbe Buch
Autoren: Otfried Preußler
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dann öffnete er den Brotkasten.
    „Nur dann ist das Wandern schön, wenn man ab und zu eine Rast macht", fand er. „Und wenn man schon rastet, muss man auch was zum Futtern haben!"
    Er nahm ein Stück Brot aus dem Brotkasten, dunkles selbst gebackenes Hutzelmannsbrot, das nach Waldgras duftete. Nach dem Waldgras, aus dessen Körnern, wie wir schon wissen, die Hutzelmänner ihr Mehl mahlen.
    Hutzelmannsbrot ist ein kräftiges und gesundes Brot, kaum gesalzen und kaum gewürzt. Und doch schmeckt es ganz, ganz köstlich. Es schmeckt wie der späte Sommer im Wald: ein wenig nach Harz und ein wenig nach Pfifferlingen, ein wenig nach reifen Brombeeren und ein wenig nach Heidekraut.

    Hörbe wog das Stück Brot in der Hand.
    „Für mich wird es ausreichen ..überlegte er.
    Doch konnte man denn im Voraus wissen, wer einem unterwegs so alles begegnete?
    Im Brotkasten lag, noch vom letzten Sonntag her, ein großes Stück Streuselkuchen: Das wurde vom langen Liegen gewiss nicht besser ...
    Hörbe nahm das Stück Kuchen heraus und legte es mit dem Brot auf ein großes kariertes Vespertuch. Dann knotete er die Zipfel des Tuchs zusammen, je zwei und zwei
    über Kreuz, und schob sich das Bündel unter den großen Hut: Dort war es gut aufgehoben, da störte es nicht beim Wandern.
    „Das hätten wir also!"
    Hörbe klappte den Brotkasten wieder zu. Jetzt geschwind noch die Kuchenkrümel vom Tisch gepickt: hier einen ... da einen ... dort einen - und in den Mund damit!
    „So", meinte Hörbe. „Ich habe nun, glaub ich, alles getan, was zu tun war - nun kann es losgehen!"

Als Hörbe an diesem Morgen die Haustür zum zweiten Mal öffnete, war von dem fremden Vogel, der ihn zum Wandern verlockt hatte, nichts mehr zu hören: Es gab wohl noch andere Dinge für ihn, als immerzu bloß zu singen.
    „Und jetzt - wohin?"
    Hörbe schob mit der linken Schulter das Reisig beiseite und trat ins Freie hinaus.
    „Der Wald ist so groß und die Welt so weit. Ist's da nicht völlig einerlei, welchen Weg ich nehme?"
    Er überquerte die kleine Lichtung vor seinem Hause und wanderte auf gut Glück zwischen Farnkraut und Beerengesträuch in den Wald hinein. Der Hutzelmannspfad, dem er folgte, führte ihn eine Weile im Schatten dahin, unter hohen Bäumen. Der Waldboden war mit Sonnenfle-
    cken gesprenkelt. Und oben, zwischen den Wipfeln, schimmerte da und dort ein Stück blauen Himmels herein.
    Dann tat sich die Siebengiebelwiese vor Hörbe auf: Grün und golden strahlte sie ihm entgegen.
    Und wieder gleißte der Tau und wieder blinkte und blitzte es von den Blättern und Rispen wie tausend mal tausend Perlen und Edelsteine.
    „Bei meinem großen Hut!", dachte Hörbe. „Die Welt ist so schön und hell wie am ersten Tag!"

    Er war nicht gerade ein großer Sänger, der kleine Wan-dersmann. Trotzdem begann er zu singen: „Welt, Welt, Welt!", sang er, während er in den funkelnden Tag hinausschritt. „Wie schön ist es, auf der Welt zu sein! Oh Wunder, dass es mich gibt!"
    Er sang es aus vollem Herzen, er sang es voll Dankbarkeit. Und er hätte vermutlich noch lange weitergesungen, wenn sich nicht aus dem Wald eine mürrische Stimme hätte vernehmen lassen, die ihn zurechtwies: „Was singst du da, Hörbe? Was für ein blödes Zeug ist das! Seit wann ist es schön, auf der Welt zu sein? Wo das Leben doch weiter nichts ist als Müh und Plage!"
    Das war Nörgelseff, der da geraunzt hatte: Nörgelseff, der an allem und jedem etwas herumzunörgeln fand. Besonders an seinen Nachbarsleuten. Und ganz besonders am kleinen Leubner, dem Hutzelmannsschneider, mit dem er im gleichen Haus wohnte.
    Von Beruf war er Schuster, der Nörgelseff. Heute war er hier draußen im Wald, um Reisig zu holen: Er klaubte das Reisig am Rande der Siebengiebelwiese zusammen und Leubner musste es dann zu Hause klein hacken.
    „Wie kannst du bloß einen solchen Blödsinn singen!", murrte der Nörgelseff, ohne auch nur ein einziges Mal von der Arbeit aufzublicken. „Weißt du nicht, was mit dem Vogel geschieht, der am Morgen singt?"
    „Nun?", fragte Hörbe.
    „Den Vogel, der morgens singt, frisst am Abend die Katz!"

    „Wenn schon!", rief Hörbe. „Bin ich vielleicht ein Vogel?! Wenn mir danach zumute ist, singe ich. Und ich singe, so laut ich kann. Davon werden mich alle Katzen und Nörgeiseffe der Welt nicht abhalten - merk dir das!"

Hörbe ließ den Nörgelseff weiternörgeln und wanderte seines Weges - immer den Hutzelmannspfad entlang, der hinunterführte zum anderen Ende
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