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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft
Autoren: Agota Kristof
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der Stadt sind leer, der Fluß ist zugefroren, der Wald ist verschneit. Wir können nicht mehr hinein. Und so werden wir bald kein Holz mehr haben. 
    Wir sagen zu Großmutter:
    - Wir brauchen zwei Paar Gummistiefel. 
    Sie antwortet:
    - Und was noch? Wo soll ich Geld hernehmen? 
    - Großmutter, es ist fast kein Holz mehr da. 
    - Ihr müßt eben sparsam damit sein.
    Wir gehen nicht mehr aus dem Haus. Wir machen alle möglichen Übungen, wir schnitzen Gegenstände aus Holz, Löffel, Brotbretter, und wir lernen bis spät in die Nacht. Großmutter bleibt fast immer in ihrem Bett. Sie kommt nur selten in die Küche. Wir haben Ruhe. Wir essen schlecht, es gibt kein Gemüse und Obst mehr, die Hühner legen nicht mehr. Großmutter holt jeden Tag ein paar Bohnen und Kartoffeln aus dem Keller, dabei ist er voller Rauchfleisch und Marmeladengläser. Manchmal kommt der Briefträger. Er läßt die Klingel seines Fahrrads so lange klingeln, bis Großmutter aus dem Haus kommt. Dann feuchtet der Briefträger seinen Bleistift an, schreibt etwas auf ein Stück Papier, reicht den Stift und das Papier Großmutter, die unten auf das Papier ein Kreuz macht. Der Briefträger gibt ihr Geld, ein Paket oder einen Brief und fährt pfeifend in die Stadt zurück. Großmutter schließt sich mit dem Paket oder mit dem Geld in ihr Zimmer ein. Wenn ein Brief da ist, wirft sie ihn ins Feuer. 
    Wir fragen:
    - Großmutter, warum werfen Sie den Brief weg, ohne ihn zu lesen?
Sie antwortet:
    - Ich kann nicht lesen. Ich bin nie in die Schule gegangen, ich habe immer nur gearbeitet. Ich bin nicht so verwöhnt worden wie ihr.
    - Wir können Ihnen die Briefe vorlesen, die Sie bekommen.
    - Niemand darf die Briefe lesen, die ich bekomme. 
    Wir fragen:
    - Wer schickt Geld? Wer schickt Pakete? Wer schickt Briefe?
Sie antwortet nicht.
    Am nächsten Tag, während sie im Keller ist, durchsuchen wir ihr Zimmer. Unter ihrem Bett finden wir ein geöffnetes Paket. Es sind Pullover drin, Schals, Mützen, Handschuhe. Wir sagen Großmutter nichts, sonst würde sie merken, daß wir einen Schlüssel zu ihrem Zimmer haben.
    Nach dem Abendessen warten wir. Großmutter trinkt ihren Schnaps und schließt dann, schwankend, mit dem an ihrem Gürtel hängenden Schlüssel die Tür ihres Zimmers auf. Wir folgen ihr, stoßen sie in den Rücken. Sie fällt auf ihr Bett. Wir tun so, als würden wir das Paket suchen und finden. Wir sagen:
    - Das ist nicht nett, Großmutter. Wir frieren, wir haben keine warmen Kleider, wir können nicht mehr hinausge hen, und Sie wollen alles verkaufen, was unsere Mutter für uns gestrickt und uns geschickt hat.
    Großmutter antwortet nicht, sie weint. 
    Wir sagen noch:
    - Es ist unsere Mutter, die Geld schickt, es ist unsere Mutter, die Ihnen Briefe schreibt. 
    Großmutter sagt:
    - Nicht mir schreibt sie. Sie weiß genau, daß ich nicht lesen kann. Vorher hat sie mir nie geschrieben. Jetzt, wo ihr da seid, schreibt sie. Aber ich brauche ihre Briefe nicht! Ich brauche nichts, was von ihr kommt!

Der Briefträger
    Von nun an warten wir vor der Gartentür auf den Briefträger. Es ist ein alter Mann mit einer Schirmmütze. Er hat ein Fahrrad mit Ledertaschen am Gepäckträger. Als er kommt, lassen wir ihm keine Zeit zu klingeln: Ganz schnell schrauben wir seine Klingel ab. 
    Er sagt: 
    - Wo ist eure Großmutter? 
    Wir sagen:
    - Kümmern Sie sich nicht um sie. Geben Sie uns, was sie mitgebracht haben.
Er sagt:
- Es gibt nichts.
    Er will wegfahren, aber wir stoßen ihn. Er fällt in den Schnee. Sein Fahrrad fällt auf ihn. Er flucht. Wir durchsuchen seine Satteltaschen, wir finden einen Brief und eine Überweisung. Wir nehmen den Brief, wir sagen: 
    - Geben Sie uns das Geld! 
    Er sagt:
    - Nein. Es ist an eure Großmutter gerichtet. 
    Wir sagen:
    - Aber es ist für uns bestimmt. Unsere Mutter schickt es uns. Wenn Sie es uns nicht geben, lassen wir Sie nicht
aufstehen, bis Sie erfroren sind.
Er sagt:
    - Einverstanden, einverstanden. Helft mir aufstehen, mein Bein ist unter dem Fahrrad eingeklemmt. 
    Wir heben das Fahrrad hoch und helfen dem Briefträger aufstehen. Er ist mager, sehr leicht.
    Er holt das Geld aus seiner Tasche und gibt es uns. 
    Wir fragen:
    - Wollen Sie eine Unterschrift oder ein Kreuz? 
    Er sagt:
    - Das Kreuz reicht. Ein Kreuz ist soviel wert wie das andere.
Er fügt hinzu:
    - Ihr habt recht, euch zu wehren. Alle Welt kennt eure Großmutter. Keiner ist so geizig wie sie. Also eure Mama schickt euch das alles? Sie ist sehr
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