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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft
Autoren: Agota Kristof
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sprechen, aber wir hören vor allem Schimpfwörter:
    - Mistkerl... Drecksack... Schweinehund... verfaulter ... verfluchter...
    Als Großmutter weggeht, sehen wir uns das Grab an: Es ist sehr gepflegt. Wir betrachten das Kreuz: Der Name, der darauf steht, ist der unseres Großvaters. Der Vorname ist ein Doppelname mit einem Bindestrich, und diese beiden Vornamen sind unsere eigenen Vornamen.
    Auf dem Kreuz stehen auch Geburts- und Todesdatum. Wir rechnen nach, daß unser Großvater im Alter von vierundvierzig Jahren gestorben ist, vor dreiundzwanzig Jahren.
    Am Abend fragen wir Großmutter:
- Wie war unser Großvater?
Sie sagt:
    - Wie? Was? Ihr habt keinen Großvater. 
    - Aber wir hatten früher einen.
    - Nein, nie. Als ihr geboren wurdet, war er schon tot. Also habt ihr nie einen Großvater gehabt.
Wir fragen:
- Warum haben Sie ihn vergiftet?
Sie fragt:
- Was sind das für Geschichten?
    - Die Leute erzählen, daß Sie Großvater vergiftet haben.
    - Die Leute erzählen... die Leute erzählen... Laßt sie erzählen.
- Sie haben ihn nicht vergiftet?
    - Laßt mich in Ruhe, Hundesöhne! Nichts ist bewiesen worden! Die Leute erzählen alles mögliche. 
    Wir sagen noch:
    - Wir wissen, daß Sie Großvater nicht mochten. Warum pflegen Sie dann sein Grab?
    - Eben deswegen! Wegen dem, was die Leute erzählen. Damit sie aufhören zu erzählen und zu erzählen! Und woher wißt ihr, daß ich sein Grab pflege, he? Ihr habt mir nachspioniert, Hundesöhne, ihr habt mir wieder nachspioniert! Der Teufel soll euch holen!

Übung in Grausamkeit
    Es ist Sonntag. Wir fangen ein Huhn, und wir schneiden ihm die Kehle durch, wie wir es Großmutter haben tun sehen. Wir bringen das Huhn in die Küche, und wir sagen: 
    - Man muß es kochen, Großmutter. 
    Sie fängt an zu schreien:
    - Wer hat euch das erlaubt? Dazu habt ihr kein Recht! Ich bin es, die hier befiehlt, verdammte Scheißkerle! Ich werde es nicht kochen! Lieber krepiere ich! 
    Wir sagen:
    - Das ist egal. Wir werden es selber kochen.
    Wir beginnen, das Huhn zu rupfen, aber Großmutter reißt es uns aus den Händen:
    - Ihr wißt nicht, wie man das macht! Kleine Dreckfinken, Elend meines Lebens, die Strafe Gottes, ja, das seid ihr!
    Während das Huhn kocht, weint Großmutter: 
    - Es war das schönste. Sie haben mit Absicht das schönste genommen. Es war gerade richtig für den Dienstagsmarkt. Das Huhn essend, sagen wir:
    - Es ist sehr gut, dieses Huhn. Wir werden jeden Sonntag eins essen.
    - Jeden Sonntag? Seid ihr verrückt! Wollt ihr mich zugrunde richten?
    - Wir werden jeden Sonntag ein Huhn essen, ob Sie es wollen oder nicht.
    Großmutter fängt wieder zu weinen an:
    - Was habe ich ihnen bloß getan? Was für ein Elend! Sie wollen meinen Tod. Eine arme, wehrlose alte Frau. Das habe ich nicht verdient. Wo ich doch so gut zu ihnen bin!
    - Ja, Großmutter, Sie sind gut, sehr gut. Deshalb werden Sie uns aus Güte jeden Sonntag ein Huhn kochen. 
    Als sie sich ein bißchen beruhigt hat, sagen wir ihr noch:
    - Wenn es was zu töten gibt, müssen Sie uns rufen. Wir werden es tun.
Sie sagt:
- Ihr mögt das, was?
    - Nein, Großmutter, wir mögen es nicht. Gerade deswegen müssen wir uns daran gewöhnen. 
    Sie sagt:
    - Ich verstehe. Eine neue Übung. Ihr habt recht. Man muß töten können, wenn es nötig ist.
    Wir beginnen mit den Fischen. Wir packen sie am Schwanz, und wir schlagen ihren Kopf gegen einen Stein. Wir gewöhnen uns schnell daran, die Tiere zu töten, die zum essen bestimmt sind: Hühner, Kaninchen, Enten. Später töten wir Tiere, die zu töten nicht nötig wäre. Wir fangen Frösche, wir nageln sie auf ein Brett, und wir öffnen ihren Bauch. Wir fangen auch Schmetterlinge, wir spießen sie auf ein Stück Pappe. Bald haben wir eine schöne Sammlung.
    Eines Tages hängen wir unsere Katze an einen Ast, einen roten Kater. Aufgehängt zieht er sich in die Länge, wird riesengroß. Er wird von Zuckungen, Krämpfen geschüttelt. Als er sich nicht mehr rührt, hängen wir ihn ab. Er bleibt flach im Gras liegen, reglos, dann springt er plötzlich auf und rennt davon.
    Seitdem sehen wir ihn manchmal von weitem, aber er kommt nicht mehr in die Nähe des Hauses. Er trinkt nicht einmal die Milch, die wir in einem kleinen Teller vor die Tür stellen. Großmutter sagt zu uns:
    - Diese Katze wird immer scheuer. 
    Wir sagen:
    - Keine Bange, Großmutter, wir kümmern uns um die Mäuse.
    Wir basteln Fallen, und die Mäuse, die sich fangen lassen, ersäufen wir in kochendem
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