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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft
Autoren: Agota Kristof
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Irgend etwas.
    - Ziegenmilch, harte Eier, Brot, Obst?
- Ja, ja, irgend was.
Wir fragen:
- Und eine Decke? Die Nächte sind kalt, und es regnet oft.
Er sagt:
    - Ja, aber man darf euch nicht sehen. Und ihr sagt niemand etwas, nicht wahr? Nicht mal eurer Mutter. Wir antworten:
    - Man wird uns nicht sehen, wir sagen nie jemand etwas, und wir haben keine Mutter.
    Als wir mit dem Essen und der Decke wiederkommen, sagt er:
- Ihr seid nett.
Wir sagen:
- Wir wollten nicht nett sein. Wir haben Ihnen diese Sachen gebracht, weil Sie sie unbedingt brauchten. Das ist alles.
Er sagt noch:
- Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll. Ich werde euch nie vergessen.
Seine Augen füllen sich mit Tränen.
Wir sagen:
    - Sie wissen, weinen nutzt nichts. Wir weinen nie. Dabei sind wir noch keine Männer wie Sie. 
    Er lächelt und sagt:
    - Ihr habt recht. Verzeiht mir, ich werde es nicht wieder tun. Es war nur wegen der Erschöpfung.

Übung in Fasten
    Wir verkünden Großmutter:
    - Heute und morgen werden wir nicht essen. Wir werden nur Wasser trinken.
Sie zuckt die Achseln:
    - Das ist mir egal. Aber ihr arbeitet wie gewöhnlich. 
    - Natürlich, Großmutter.
    Am ersten Tag schlachtet sie ein Huhn und brät es im Ofen. Mittags ruft sie uns:
- Kommt essen!
Wir gehen in die Küche, es riecht sehr gut. Wir haben ein bißchen Hunger, aber nicht zu sehr. Wir schauen zu, wie
Großmutter das Huhn zerteilt.
Sie sagt:
    - Wie gut das riecht. Riecht ihr, wie gut das riecht? Wollt ihr jeder einen Schenkel? 
    - Wir wollen nichts, Großmutter.
    - Das ist schade, weil es wirklich sehr gut ist. 
    Sie ißt mit den Händen, leckt sich die Finger, wischt sie an ihrer Schürze ab. Sie knabbert und saugt an den Knochen. Sie sagt:
    - Sehr zart, dieses Huhn. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen.
Wir sagen:
- Großmutter, seit wir bei Ihnen sind, haben Sie noch nie ein Huhn für uns gekocht.
Sie sagt:
    - Heute habe ich eins gekocht. Ihr braucht bloß zu essen.
    - Sie wußten, daß wir heute nichts essen wollen, und morgen auch nicht.
    - Dafür kann ich nichts. Das ist wieder eine von euren Blödsinnigkeiten.
    - Es ist eine von unsern Übungen. Um uns daran zu gewöhnen, den Hunger zu ertragen.
    - Dann gewöhnt euch dran. Niemand hindert euch. 
    Wir verlassen die Küche, wir erledigen Arbeiten im Garten. Gegen Ende des Tags haben wir wirklich großen Hunger. Wir trinken viel Wasser. Am Abend können wir schlecht einschlafen. Wir träumen von Essen. Am nächsten Mittag ißt Großmutter den Rest des Huhns auf. Wir schauen ihr in einer Art Nebel beim Essen zu. Wir haben keinen Hunger mehr. Uns ist schwindlig. Am Abend macht Großmutter Pfannkuchen mit Marmelade und Quark. Uns ist übel, und wir haben Magenkrämpfe, aber als wir im Bett liegen, sinken wir in tiefen Schlaf. Als wir aufstehen, ist Großmutter schon zum Markt gegangen. Wir wollen frühstücken, aber es gibt nichts zu essen in der Küche. Weder Brot noch Milch, noch Käse. Großmutter hat alles im Keller verschlossen. Wir könnten ihn aufmachen, aber wir beschließen, nichts anzurühren. Wir essen Tomaten und rohe Gurken mit Salz.
    Großmutter kommt vom Markt zurück, sie sagt: 
    - Ihr habt heute morgen eure Arbeit nicht getan. 
    - Sie hätten uns wecken müssen, Großmutter. 
    - Ihr hättet eben von allein aufwachen sollen. Aber ausnahmsweise gebe ich euch trotzdem was zu essen. 
    Sie macht uns eine Gemüsesuppe aus den Resten vom Markt, wie gewohnt. Wir essen wenig. Nach dem Essen sagt Großmutter:
    - Das ist eine dämliche Übung. Und schlecht für die Gesundheit.

Großvaters Grab
    Eines Tages sehen wir, wie Großmutter mit ihrer Gießkanne und ihren Gartengeräten das Haus verläßt. Doch statt in ihren Weinberg zu gehen, nimmt sie eine andere Richtung. Wir folgen ihr von weitem, um zu sehen, wohin sie geht.
    Sie betritt den Friedhof. Sie bleibt vor einem Grab stehen, sie legt ihre Geräte ab. Der Friedhof ist leer, nur Großmutter und wir sind darin.
    Uns hinter den Büschen und Grabsteinen versteckend, nähern wir uns mehr und mehr. Großmutter sieht und hört schlecht. Wir können sie beobachten, ohne daß sie es merkt.
    Sie reißt das Unkraut vom Grab, gräbt mit einer Schaufel, harkt die Erde, pflanzt Blumen, holt Wasser vom Brunnen, kommt zurück und gießt das Grab.
    Als sie ihre Arbeit beendet hat, räumt sie ihre Geräte zusammen, kniet sich dann vor das Holzkreuz, wobei sie sich aber auf ihre Fersen setzt. Sie faltet ihre Hände auf ihrem Bauch, als wolle sie ein Gebet
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