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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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nicht getan, wäre das Bettzeug schmutzig geworden und sein eigenes Waschen vergeblich gewesen. Ich saß nicht gern auf dem Badewannenrand und konnte es erst recht nicht leiden, mit dem Knie am Ohr vor dem Waschbecken zu stehen, während der schwarze Dreck in das weiße Porzellan gespült wurde, aber es war eines der zahllosen Dinge, die man im Leben tut, um Streit zu vermeiden, und jetzt war mir beim Gedanken daran zum Lachen, oder zum Ersticken.
    Mittlerweile wirkte Daniel Varskys Wohnung schummerig und aquatisch, die Sonne war hinter einem Gebäude versunken, und die hinter den Dingen verborgenen Schatten fluteten von überall her. Ich erinnere mich an einige sehr große Bücher in den Regalen, erlesene Bände mit hohen Stoffrücken. Ich habe die Titel nicht behalten, vielleicht gehörten sie zusammen, aber irgendwie schien es ein geheimes Einvernehmen zwischen ihnen und der Dämmerung zu geben. Es war, als wären die Wände seiner Wohnung plötzlich mit Filz bezogen wie die eines Kinos, damit kein Ton nach außen und kein anderer nach innen dringt, und in diesem Isolationsbecken, Euer Ehren, in dem, was an Licht übrig blieb, waren wir zugleich das Publikum und der Film. Oder als wären wir allein von der Insel abgeschnitten worden und trieben nun auf hoher See, in dunklen Wassern von unbekannter Tiefe. Ich galt damals als attraktiv, manche sagten sogar schön, obwohl ich immer schlechte Haut hatte, und genau das bemerkte ich, als ich in den Spiegel schaute, das und einen leicht verstörten Ausdruck, eine etwas gerunzelte Stirn, wie ich sie von mir nicht kannte. Aber bevor und auch während ich mit R zusammen war, gab es reichlich Männer, die klar zu verstehen gaben, dass sie gern mit mir nach Hause gehen würden, entweder für eine Nacht oder länger, und als Daniel und ich aufstanden, um ins Wohnzimmer zu gehen, fragte ich mich, was er wohl von mir dachte.
    Dies war der Augenblick, in dem er mir erzählte, der Schreibtisch sei, wenn auch nur kurz, von Lorca benutzt worden. Ich wusste nicht, ob das ein Scherz sein sollte, es schien höchst unwahrscheinlich, dass dieser Weltenbummler aus Chile, jünger als ich, in den Besitz eines so kostbaren Gegenstands gelangt sein konnte, aber ich beschloss, ihn ernst zu nehmen, weil ich nicht riskieren wollte, jemanden zu beleidigen, der mir nur Freundlichkeit erwiesen hatte. Als ich fragte, wie er daran gekommen sei, zuckte er mit den Schultern und sagte ohne weitere Erklärung, er habe ihn gekauft. Ich dachte, er würde nun sagen: Und jetzt gebe ich ihn dir, aber das tat er nicht, er gab nur dem einen Bein einen kleinen Tritt, nicht grob, sondern liebenswürdig, voller Respekt, und ging weiter.
    Entweder dann oder später küssten wir uns.
     
    Sie spritzte eine neue Dosis Morphium in den Tropf und fixierte eine lockere Elektrode auf Ihrer Brust. Vor dem Fenster breitete sich die Dämmerung über Jerusalem. Einen Augenblick beobachteten sie und ich das grün flimmernde Auf und Ab Ihrer EKG-Kurve. Dann zog sie den Vorhang zu und ließ uns allein.
     
    Unser Kuss war antiklimaktisch. Nicht dass es ein schlechter Kuss gewesen wäre, aber er war nur eine Interpunktion in unserem langen Gespräch, eine in Klammern gesetzte Anmerkung, um einander einer tiefempfundenen Übereinstimmung zu versichern, ein wechselseitiges Angebot, Gefährten zu sein, was so viel seltener ist als sexuelle Leidenschaft oder sogar Liebe. Daniels Lippen waren dicker, als ich erwartet hatte, nicht dick in seinem Gesicht, aber dick, als ich die Augen schloss und sie meine berührten, und den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, sie würden mich ersticken. Aber das lag wohl eher daran, dass ich so an Rs Lippen gewöhnt war, dünne, nichtsemitische Lippen, die in der Kälte oft blau wurden. Mit einer Hand drückte Daniel Varsky meinen Oberschenkel, und ich berührte sein Haar, das roch wie ein schlammiger Fluss. Ich glaube, da hatten wir gerade oder nahezu den Sumpf der Politik erreicht, und Daniel Varsky fluchte, zuerst empört, dann fast am Rand der Tränen, über Nixon und Kissinger und ihre Sanktionen, ihre skrupellosen Machenschaften, mit denen sie versuchten, sagte er, alles abzuwürgen, was neu und jung und schön in Chile war, die Hoffnung, die den Doktor Allende den ganzen Weg hinauf in den Palast La Moneda getragen hatte. Lohnerhöhungen bis zu fünfzig Prozent, sagte er, und alle diese Schweine kümmern sich nur um ihr Kupfer und die Multinationalen! Schon beim Gedanken an einen
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